Neues Format Wie Wuppertaler Studenten Therapien übernehmen

Wuppertal · Im Masterstudiengang Psychologie begleiten Studenten Lehrtherapeuten bis ins Behandlungszimmer.

Ambulanz-Leiterin Aleksandra Kaurin (v. l.), Student Fabian Illig, Anna Ball (geschäftsführende Leiterin), Student Jakob Hilger, Studentin Maren Köppchen sowie die beiden Lehrtherapeuten Alicia Frey und Bodo Przibilla.

Foto: Fischer, Andreas

Übung macht den Meister. Das wissen auch die Studenten der Bergischen Universität Wuppertal im Masterstudiengang Psychologie mit Schwerpunkt Klinische Psychologie und Psychotherapie. In der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche, die seit Oktober an der Friedrichstraße neben der Rathaus-Galerie ansässig ist, absolvieren sie einen Teil ihres Studiums: In sogenannten Lehrtherapien begleiten sie Lehrtherapeuten direkt in die Sitzungen mit ihren Patienten und übernehmen Teile der Behandlung, natürlich unter Anleitung, wie Aleksandra Kaurin, Lehrstuhlinhaberin Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie und Leiterin der Ambulanz, berichtet.

Das Format ist neu und unterscheidet sich von der bisherigen Psychotherapeuten-Ausbildung. Bei den Studenten kommt das gut an. „Beim alten Format wird man direkt ins kalte Wasser geworfen“, sagt Student Jakob Hilger. Bislang saßen die Studenten dem Patienten eins zu eins gegenüber. „Es gibt dabei einen Supervisor, der jede vierte Sitzung begleitet – sich teilweise aber nur Audio- oder Videoaufzeichnungen anguckt und Feedback gibt“, erklärt Anna Ball, geschäftsführende Leitung der Hochschulambulanz. Jetzt ist permanent ein Experte mit dabei. „Jetzt ist eine dritte Person mit im Raum. Das kann man sich vorstellen wie bei einer OP. Da operiert auch ein Assistenzarzt, weil man es ihm zutraut“, ergänzt Kaurin.

Diese Begleitung durch gelernte Lehrtherapeuten schätzen die Studenten. „Ich habe das als sehr positiv erlebt“, sagt Jakob Hilger. Jeder Student bringe andere Vorerfahrungen mit, nicht jeder hatte überhaupt schon Kontakt zu Patienten. „Dadurch, dass man nie allein in der Therapie sitzt und man sich mit dem Lehrtherapeuten abspricht, wer welchen Teil der Behandlung übernimmt, gibt das Sicherheit – auch wenn mal etwas Unerwartetes passiert“, berichtet er. So erzählt er beispielsweise von einer ganz jungen Patientin. Zwar machten er und der begleitende Therapeut sich im Vorfeld viele Gedanken über die Sitzung, dennoch könne dann vieles anders kommen. „Je nachdem, wie ihre Stimmung ist, versteckt sie sich die ganze Sitzung im Zelt. Dann muss man den Plan doch umwerfen, sodass man vielleicht etwas mehr spielt und sie aus dem Zelt lockt“, sagt Hilger. Spontan zu reagieren, sei oft herausfordernd. Gerade bei Kindern, denn bei erwachsenen Patienten sei vieles planbarer.

Auch Student Fabian Illig hat schon die Erfahrung gemacht, dass eine Sitzung anders läuft als geplant – auch bei erwachsenen Patienten. „Im Vorfeld lernt man viel Theorie und hat Modelle, die man mit dem Patienten besprechen will.“ So sei es in einer Sitzung um den Teufelskreis der Angst gegangen. „Ein beliebtes Modell, um Panikattacken zu erklären“, sagt er. Demnach würden bestimmte Körperreaktionen, die aufgrund der Angst entstehen – zum Beispiel wird Adrenalin ausgeschüttet oder Muskeln spannen sich an - diese wiederum befeuern. Doch habe sich der Patient in diesem Modell nicht wiedergefunden, empfand sich eher als träge und müde. „Das passte nicht ins Konzept. Da kommt man selbst ins Straucheln“, erzählt Illig.

„Man will keine Grenzen überschreiten“

Und auch Studentin Maren Köppchen kennt solche Situationen. „In der Theorie weiß man, dass Kinder sich verschließen, wenn sie negative Emotionen zum Ausdruck bringen sollen. Wenn man dann vor dem Patienten sitzt und merkt, das Kind macht zu, ist das dennoch herausfordernd. Man will keine Grenzen überschreiten.“

Eine Situation, in der die Studenten spontan reagieren müssen – dabei aber auf die Hilfe der Lehrtherapeuten setzen können. „Mit Kindern werden Pläne zu Überraschungen. Wir gehen in einem Tandem an die Fälle heran“, erklärt Lehrtherapeut Bodo Przibilla. Er wisse, auf welche Grundlagen er bei den Studenten setzen kann und kann im realen Kontext unterstützen. Er kennt aber auch die Schwierigkeiten, die sich für Studenten stellen können. „Vielleicht ist es mal notwendig, in einer Sitzung seine Stimme zu verstellen. Für die Studenten kann es herausfordernd sein, sich das vor uns zu trauen. Wir versuchen, die Studenten zu motivieren, dass die den Komfortbereich erweitern“, so Przibilla. Trauten sie sich anfangs noch nicht so viel, würden sie nach und nach dazu übergehen, initiativ Fragen in der Therapie zu stellen. Und weil man als Therapeut nicht alles im Blick haben könne, erlebt Przibilla die Kooperation im Therapeutenteam als „total hilfreich“. Benotet werden die Studenten von den Lehrtherapeuten nicht.

„Das ist wahnsinnig komplex, die Bedürfnisse der Studenten im Blick zu haben, die im Rahmen des Studiums bestimmte therapeutische Aufgaben, wie zum Beispiel Erstgespräche, durchführen müssen – und dabei gleichzeitig auch die Bedürfnisse der Patienten und die der Lehrtherapeuten zu berücksichtigen. Der Patient ist nicht geheilt, nur weil die Lehrtherapie beendet ist“, sagt Anna Ball.

Die Patienten würden die Therapieassistenten, also die Studenten, als Bereicherung empfinden. „Viele sind traurig, wenn sie nach einer gewissen Zeit wieder weg sind“, sagt Anna Ball. Fabian Illig ergänzt: „Im Erwachsenenbereich habe ich auch oft das Feedback bekommen, dass die Patienten davon profitieren und das Gefühl haben, dass da noch mehr Leute drauf gucken.“ Denn in Lehrtherapien habe man mehr Zeit für den Patienten, da die Sitzung intensiv vorbereitet und nachbesprochen wird. „Das ist aber natürlich auch für jeden Patienten anders. Manch einer will nicht, dass so viele Menschen auf ihn schauen“, so Aleksandra Kaurin.

Insgesamt verbringen die Studenten zwölf Wochen in der ambulanten Lehrtherapie, danach noch rund drei Monate in der stationären Therapie in einer Klinik. Das Ende des Studiums endet mit der Approbationsprüfung. Bevor sich die Studenten niederlassen dürfen, müssen sie noch eine Weiterbildung zum Fachpsychotherapeuten machen und sich spezialisieren.

Für eine Studie sucht der Lehrstuhl Teilnehmer zwischen 14 und 21 Jahren. „Was erlebst Du jeden Tag – und wie geht es Dir danach?“, lautet die Ausgangsfrage. Informationen unter: