Das Unternehmen Aicuris kämpft gegen resistente Keime Zehn Jahre Life-Science Forschung in Wuppertal
Im Kampf gegen resistente Keime werden neue Wirkstoffe benötigt. Ein Hoffnungsträger aus der Forschung kommt aus Wuppertal.
Wuppertal. Die Phase 3 ist die letzte große Hürde bei der Zulassung neuer Medikamente. Letermovir hat diese mit Bravour genommen. Das erfreut vor allem den Entwickler, die Wuppertaler Firma Aicuris. Zwei der größten Gegner der Menschheit sind winzig klein. Bakterien und Viren haben im Laufe ihrer Evolution beeindruckende Fähigkeiten entwickelt, um ihr Überleben zu sichern. Leider auch, wenn der Mensch sie mit Antibiotika oder Virostatika bekämpft. Die Keime können dagegen völlig immun werden.
Diese Resistenzen sind ein weltweites Problem. Umso verwunderlicher ist es, dass praktisch alle großen Pharmaunternehmen ihre Forschung auf diesem Gebiet eingestellt haben. Die Konzerne arbeiten gewinnorientiert. Es erscheint ihnen wenig verlockend, viel Zeit und Geld in Mittel zu stecken, die am Ende zwar Leben retten, aber ihre Entwicklungskosten nicht wieder einspielen.
Für kleinere Firmen scheint das ein kleineres Problem zu sein. Wie die Firma Aicuris Anti-infective Cures GmbH aus Wuppertal. Sie ging aus der Bayer AG hervor, als diese ihre Forschungen vor zehn Jahren stark zurück fuhr. „Das wissenschaftliche Team war sehr gut und wir hatten viel Know-how entwickelt“, erinnert sich die Gründerin Helga Rübsamen-Schaeff. „Wir wollten weitermachen, weil wir uns sicher waren, damit gute Medikamente gegen wichtige Erreger entwickeln zu können.“
In enger Kooperation mit der Bayer AG gründete sich das Unternehmen, um Viren und Bakterien auf neuartige Weise zu bekämpfen. Diese Woche zog Aicuris anlässlich seines zehnjährigen Firmenjubiläums auf der Bio-Europe, der wichtigsten europäischen Konferenz der Life Sciences Branche in Köln, Bilanz.
Dem jungen Unternehmen ist die Entwicklung eines Virostatikas gegen das Cytomegalovirus gelungen. Jeder zweite Deutsche trägt diesen Virus aus der Herpes-Familie in sich. Es tritt immer dann hervor, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Auch bei Chemotherapien oder Transplantationen. „Beide Behandlungen sind sehr teuer und das Ausbrechen des Virus kann den Heilungsprozess stören oder die gesamte Behandlung gefährden. Diese Risiken können wir mit unserem vergleichsweise günstigen Letermovir vermeiden“, erklärt Holger Zimmermann, der heutige Vorstandsvorsitzende.
Für eine kleinere Firma wie Aicuris ist das sehr kostspielige dreistufige Zulassungsverfahren für neue Wirkstoffe nur schwer zu stemmen. Daher vergeben die Wirkstoffjäger aus Wuppertal nach der zweiten Phase Lizenzen an starke Partner. Die Letermovir-Lizenz war dem Pharmaunternehmen Merck & Co. aus den USA 110 Millionen Euro wert.
„In der Phase 3 wird weltweit unter realen Bedingungen getestet. Wirkstoffe, die hier gute Ergebnisse erzielen, haben die letzte große Klippe auf dem Weg zur Zulassung umschifft. Unsere Resultate haben die der Konkurrenz klar übertroffen“, sagt Zimmermann. Damit ist es sehr wahrscheinlich, dass das neue Standardmedikament gegen den Cytomegalovirus Letermovir heißen wird und in Wuppertal entwickelt wurde. Die Erlöse dürften sich für Aicuris auf mindestens 600 Millionen Euro belaufen. Das spielt die Entwicklungskosten von etwa 200 Millionen Euro wieder ein und schafft genau den wirtschaftlichen Spielraum, um sich größeren Aufgaben zuzuwenden.
Neben einem Wirkstoff zur Heilung von chronischer Hepatitis B hat Aicuris ein neues resistenzbrechendes Antibiotika in der Entwicklung. Darüber verrät die Firma noch nicht viel. „Die präklinischen Tests sind sehr vielversprechend. Das Mittel wirkt dort, wo herkömmliche Medikamente nicht mehr helfen können“, so Zimmermann.
Damit geht Aicuris das an, was die Großen für unwirtschaftlich halten. Wirkstoffe zu entwickeln, die dem Menschen den entscheidenden Vorteil im Kampf gegen resistente Keime verschaffen können. Die Situation ist dramatisch. 2015 sind laut der Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit 700 000 Menschen an resistenten Keimen gestorben. In Deutschland waren es etwa 6 000. Geht es so weiter wie bisher, rechnen Mediziner der Berliner Charité für 2050 mit zehn Millionen Toten jährlich. Das wären mehr als heute durch Krebs und Diabetes zusammen.