Historisches Wuppertaler Historiker Stephan Stracke informierte in Vohwinkel über die Gräueltaten der Nationalsozialisten
Wuppertal · Das Verbrechen vor der Haustür sichtbar machen.
„1933 – niemals vergessen!“ ist der Titel einer Veranstaltungsreihe gegen das Vergessen, die jetzt mit dem Hinweis „Tatort Vohwinkel“ mit einem Spaziergang durch den Stadtteil interessierte Bürger informierte: Über die frühen, aber deshalb nicht weniger systematischen und brutalen Angriffe auf Widerstandskämpfer in Wuppertal. Zusammengeschlagen, verschleppt, gequält, ermordet – dieses Schicksal war vielen Nazi-Gegnern sicher, sobald das Terrorregime von Reichskanzler Adolf Hitler im Januar 1933 an die Macht kam.
Der Historiker Stephan Stracke kennt sie genau, die Namen der Opfer und Täter, die Wohnadressen, die Residenzen der Täter und Fundorte von Ermordeten. Er kennt und erläutert die Wahlergebnisse der schicksalhaften Kommunal- und Reichstagswahlen.
„Man glaubt immer, Wuppertal sei generell eine Stadt der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften gewesen, die den Nationalsozialisten heftigen Widerstand entgegengesetzt hätten“, erläutert Stracke, aber das stimme eben nicht auf ganzer Linie.
Es habe auch Stadtviertel gegeben, in den die perfiden Strategien gar nicht notwendig gewesen seien, denn es habe auch viele Bürger mit einer deutsch-nationalen Gesinnung gegeben, die den Nazis zu so guten Wahlergebnissen verholfen hätten.
Nach der erfolgreichen Wahl im Januar 1933 hätte die Verwaltung den neuen Machthabern freiwillig repräsentative Häuser, Villen und Residenzen übergeben, in denen diese ihre diktatorische Gewaltherrschaft eindrucksvoll einrichteten. Die heute als ehemaliges „Braunes Haus“ gekennzeichnete Villa an der Gräfrather Straße war einer dieser Verwaltungssitze, heute beherbergt sie das Jugendzentrum Vohwinkel.
Zu wenig werde immer noch vor der eigenen Haustür getan, um eine solche Entwicklung nicht noch einmal möglich zu machen, ist die Haltung der Vohwinklerin Sabine Grinda angesichts der kleinen Wanderung in Erinnerung an Hans Goersmeier und Andreas Milfried. Sie wurden, wie viele andere Vohwinkler Widerstandskämpfer, von den Nazis gedemütigt und ermordet.
Schon Ende 1932 habe es erste Nazi-Opfer in Vohwinkel gegeben, erläutert Stephan Stracke, und als im Sommer 1933 das Konzentrationslager Kemna ebenfalls auf Wuppertaler Stadtgebiet eingerichtet wurde, war die Drohkulisse auch im Bergischen für die Bürger sichtbar. Dennoch nimmt der Historiker die Bürgerschaft insofern in Schutz, als die Menschen zu dieser Zeit existenzielle Sorgen hatten und ums Überleben kämpften: „Eine Grippewelle ging um, wie sie bislang noch nie dagewesen war. In Remscheid etwa gab es auf den Friedhöfen nicht genug Platz für die Bestattungen“, erklärt Stephan Stracke.
Die Menschen hungerten, und in Vohwinkel hätten sich Freiwillige zusammengefunden, die das Stehlen von Lebensmitteln oder Nutztieren organisierten. Eine Gruppe von Sportlern sei gefasst worden, und die Nazis nutzten diesen Umstand als „Beweis“ für das kriminelle Potenzial des Widerstandes. Mit alten Auszügen aus der Lokalpresse visualisierte Stephan Stracke seine lebendigen Darstellungen Vohwinkler Zeitgeschichte.
Andreas Milfried beispielsweise sei zunächst von Mitgliedern der bereits 1921 gegründeten Sturmabteilung (SA) im Alltag schikaniert worden: Man habe die politischen Gegner damit beauftragt, die Wahlplakate nach der Wahl mit Zahnbürsten wieder abzuschrubben, schilderte Stephan Stracke den demütigenden Vorlauf, der kurz darauf mit der Verschleppung des Bauarbeiters und KPD-Mitgliedes Andreas Milfried und seiner Ermordung endete. Sein Leichnam mit Kopfschüssen sei am 29. Juni 1933 im Neandertal gefunden worden.
Das sei nicht verwunderlich, denn nachdem Vohwinkel von Sonnborn abgetrennt und selbstständig geworden war, orientierten sich die Vohwinkler Richtung Mettmann. Hier kam auch der Teilnehmer der kleinen Exkursion, Gerd Klein, her. Sein Anliegen ist, das Vergessen der Gräueltaten zu verhindern.
Zu wenig wisse man heute noch über das Geschehen vor der eigenen Haustür, so Gerd Klein, und auch Sabine Grinda hat ihren Appell formuliert: „Wir müssen uns vor Ort in den Stadtteilen und der Nachbarschaft viel mehr engagieren und dürfen nicht wegschauen von dem, was sich an rechtsextremen Aktivitäten derzeit in Deutschland entwickelt.“