Bei einer Rückschau auf die Kolumnen seit 2018 kam ich aus dem Kopfschütteln und Staunen nicht heraus: Nach Jahren der Konsolidierung, der Vernetzung innerhalb der freien Szene in Wuppertal, dem intensivierten Dialog mit der Politik und dem Publikum ereilte uns eine Pandemie nie gekannten Ausmaßes – ein Schock, der gesamtgesellschaftlich noch nicht einmal aus der Phase der Verdrängung heraus, geschweige denn ansatzweise bearbeitet ist. Zwei Jahre und länger kreisten unsere Kolumnen um die gemeinsamen Leerstellen, den „horror vacui“, das fehlende Zusammenkommen, und um die Bedeutung alles Künstlerischen, das uns auch und gerade im Lockdown rettete, jedes Buch, jede Platte, jeder Gedanke, jeder Film.
Wir haben gelernt, zu skypen, zu zoomen, zu streamen, und blicken heute darauf, als seien es Jahrzehnte lang eingeübte Kulturtechniken, was sie nicht sind. Den nur langsam sich verflüchtigenden Pesthauch der Pandemie noch in der Nase, saßen wir plötzlich und fassungslos vor den Bildern unverschämtester Gewalt – zuerst am Beispiel des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Ab da schienen sich die Gewaltausbrüche zu potenzieren – auch wenn ich weiß, dass sie auf ihre Art immer schon da waren: Seit dem vorläufigen Ende der Pandemie, auf die weitere folgen werden, scheint sich eine Gewaltspirale immer weiter und absurder zu drehen. Zuletzt gesellten sich die idiotischsten, verachtenswertesten Clowns hinzu und lassen vollends alle Hoffnungen auf den Menschen und eine von ihm sinn- und liebevoll gestaltete Welt schwinden – Worte für unseren apokalyptischen Weltlauf und Wettlauf finden sich ohne Ende, auch und immer wieder in dieser Kulturkolumne.
Jedes Konzert, jedes Buch, jeder Theatermoment scheinen nur eine Ablenkung, eine Atempause vor dem Hintergrund einer schwelenden Apokalypse. Um sie zu verhindern, müssten wir handeln, gemeinschaftlich, stark, entschieden. Doch genau das scheint unmöglich. Wir beschäftigen uns damit, ob ein „Bitte“ oder „Danke“ bei der Ansprache einer KI unnötig Strom verbraucht und daher entbehrlich sei. Endlich einheitliche Regeln für KI-Systeme zu schaffen, bevor diese das selbst übernehmen (und noch viel mehr), scheint dagegen in unvorstellbarer Ferne.
„Horror vacui“ meint in Bezug auf die Kunst zunächst die Angst vor der Leere, das Auffüllen jeglicher Freiräume beispielsweise mit Ornamenten. Im Weiteren meint es die Angst vor dem leeren Blatt, die Schreibblockade, die auch uns Kolumnistinnen und Kolumnisten ereilen kann. In der Natur, heißt es, gäbe es gar kein Vakuum. Alles würde sogleich mit neuem Leben gefüllt. Der große Platzmacher dafür heißt Tod. Es ist sein Sinn, Platz zu schaffen für Neues, das ohne ihn nicht entstünde.
Seit in meinem Umfeld kurz aufeinander zwei geliebte Wesen gestorben sind, spüre ich die Leere. Ihre Räume sind noch längst nicht gefüllt. Das kann Angst machen, auch Sinn nehmen bei Tätigkeiten, die noch vor einiger Zeit unhinterfragt Sinn machten. Dennoch empfinde ich die Leere nicht als Bedrohung. Ein Klang möchte sie füllen, ein Wort, leise und bedächtig gesprochen, ein kreisender Gedanke, vielleicht auch ein Lachen. – Oder heute Abend zum Tanz in den Mai?
Wer gesellschaftlich auf unsere gemeinsamen letzten Jahre blickt, den mag schwindeln. Das sollten wir uns immer wieder bewusst machen. Und nachsichtig sein. Das Requiem für uns wird die Kunst schaffen. Oder eine KI.
Anregungen an: kolumne@fnwk.de