Zeitzeuge des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte

Herbert Cohnen wird 94 Jahre alt. Am Donnerstag feierte er seinen Geburtstag in der Begegnungsstätte Alte Synagoge nach.

Zeitzeuge des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte
Foto: Andreas Fischer

Wenn Herbert Cohnen aus seinem Leben erzählt, dann durchdringt seine Stimme auch größere Räume mit Leichtigkeit. Das liegt nicht nur daran, dass der Senior als betroffener Zeitzeuge von den Verfolgungen der Juden während der NS-Zeit anschaulich erzählt, es hängt auch daran, dass Cohnen als ehemaliger Chorsänger über einen mächtigen Bass verfügt, der ohne Probleme den Raum füllt.

Davon konnten sich am Donnerstag ein Dutzend Besucher überzeugen, die in der Begegnungsstätte Alte Synagoge zum Geburtstagskaffee zusammenkamen. 94 Jahre alt ist Cohnen am Montag geworden, der Sohn eines jüdischen Zigarrenhändlers und einer christlichen Mutter ist einer der letzten lebenden Zeitzeugen der NS-Zeit und berichtet regelmäßig vor Schülern oder Studenten über das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.

Zwischen 20 und 350 Leute finden sich zu den Veranstaltungen nach seinen Schätzungen ein. Vor allem im Jahr 2015 — dem 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges — habe es eine große Nachfrage nach seinen Vorträgen gegeben. Der persönliche Kontakt mit einem lebenden Zeitzeugen sei für die jungen Leute dabei sehr wichtig, sagte Cohnen. „Das bestätigen mir auch immer wieder die Lehrer!“

Trotz seines Alters ist der 94-jährige gelernte Orthopädie-Mechaniker, der mittlerweile in einem Seniorenheim lebt, im Kopf immer noch sehr rege. Aus dem Stand erzählte er den Geburtstagsgästen Anekdoten aus seinem Leben und wie er als „Halbjude“ die NS-Zeit überstand. Und er räumte mit den Entschuldigungen so mancher Zeitgenossen auf: Es sei eine „große Lüge“, zu behaupten, die Leute hätten von der Judenverfolgung „nichts gewusst“. Der Abtransport der Juden sei oft öffentlich erfolgt, berichtete Cohnen. Das betraf auch ihn und seinen Bruder, die im Herbst 1944 unter öffentlicher Zurschaustellung zum Unterbarmer Bahnhof gebracht und von dort deportiert wurden.

Nicht nur als Zeitzeuge ist Cohnen allerdings für die Begegnungsstätte wichtig, auch als Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde hat er sich um die Wiederansiedlung jüdischen Lebens in Wuppertal verdient gemacht. Das erscheint wie ein kleines Wunder, lebten 1947 doch noch 69 Juden in der Region, Anfang der 1930er Jahre waren es allein in Wuppertal rund 3500 gewesen. Zudem erhielt Cohnen im Oktober von der Stadt die Auszeichnung „Wuppertaler“, außerdem ist er Ehrenvorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.