EU-Gipfel: Klima - Ablasshandel mit Atomkraft

Angela Merkel macht Jacques Chirac ein Geschenk – und sorgt damit in Deutschland für politischen Sprengstoff.

<strong>Brüssel. Ein Duell mit zwei Siegern: Durch die Klimaeinigung auf dem EU-Gipfel fühlen sich sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wie auch der französische Präsident Jacques Chirac bestärkt. Die Kanzlerin erstritt einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber auch ihr größter Kontrahent, der 74-Jährige Chirac, kann mit einem Trumpf nach Paris zurückkehren: Frankreich kann beim Klimaschutz in den kommenden 13 Jahren Ablasshandel per Atomkraft betreiben. In Berlin droht Merkel damit neuer Streit um den Ausstieg aus der Kernenergie.

EU setzt sich beim internationalen Klimaschutz an die Spitze

Merkels zeigte sich nach Abschluss des Gipfels "sehr zufrieden und glücklich". Ihr Erfolg nach zähen Verhandlungen: Die Europäische Union setzt sich beim internationalen Klimaschutz an die Spitze. Der Treibhausgas-Ausstoß der EU soll bis 2020 um mindestens 20 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Eine entscheidende Rolle dabei spielen alternative Energien wie Wind, Sonne und Erdwärme. Ihr Anteil am EU-Energiemix soll bis 2020 auf ein Fünftel des Gesamtverbrauchs steigen. Das ist ein Punktsieg für die Kanzlerin gegen Frankreich, Polen und andere osteuropäische Staaten, die auf Atom und billige Kohle setzen. Doch auch Chirac kann sich als Sieger fühlen: "Kernkraft ist prima fürs Klima" lautet zugespitzt die Formel, die der deutsche EU-Vorsitz auf Druck des alternden Präsidenten in die Beschlüsse einfügte. Bei der Verteilung der Klimaschutz-Last auf die einzelnen EU-Nationen können sich Frankreich oder Polen nun ihre Atommeiler gutschreiben lassen. Ein riesiges Zugeständnis an den Nachbarn jenseits des Rheins: Frankreich ist Europas größter Atomenergie-Produzent. 40 Prozent des Stroms in Frankreich kommen aus dieser Quelle.

Damit schluckte Merkel eine bittere Pille. Denn innenpolitisch birgt die Einigung Sprengstoff. In der Union werden nicht erst seit dem französischen Vorstoß die Stimmen lauter, die einen Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg fordern - allen voran Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und seine Partei warnen dagegen vor einem Wiedereinstieg in die Kernkraft.

Auch in der EU steht das eigentliche Tauziehen noch bevor: Welche Last die einzelnen EU-Staaten beim Klimaschutz zu tragen haben, ist nun Sache schwerer Verhandlungen, die bis zu zwei Jahre dauern könnten. So lange stritten die damals noch 15 Mitgliedstaaten bei Verabschiedung des Kyoto-Protokolls, mit dem sich die EU bis 2012 auf den Abbau von acht Prozent des CO2-Ausstoßes festlegte.

Auch ob die USA und China als weltweit größte Klimasünder mitziehen, ist noch völlig offen. Beide Staaten erzeugen immerhin rund die Hälfte der Treibhausgase weltweit, die EU aber nur 15 Prozent. Die Verhandlungen will Merkel im Juni beim G-8-Gipfel in Heiligendamm anstoßen.

Vorreiter Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann, pocht auf eine gerechte Verteilung der Auflagen für die deutsche Wirtschaft. "Wir sind bereits in der Vorreiterrolle und haben schon jetzt weltweit die besten Reduktionszahlen." Er verlangt konkret deutliche Beiträge von den USA, China und Indien.

Ziele "Wir sind bereit, ehrgeizige Ziele aufzustellen, doch diese müssen auch realistisch sein", sagt Thumann. Angesichts der deutschen Beschlusslage, komplett aus der CO2-freien Atomkraft auszusteigen, müssten alleine dafür umweltfreundliche Alternativen erarbeitet werden. Zudem seien die Deutschen weltweit nur für drei Prozent der Gesamtemissionen verantwortlich. "Wir alleine können die Umwelt nicht retten", so der BDI-Präsident. alu