WZ-Interview mit Angela Merkel: Jeder einzelne muss klimabewusstes Verhalten lernen

Anlässlich des EU-Gipfels fordert die Bundeskanzlerin einen Aktionsplan zum Klimaschutz: Europa soll Vorreiter sein und sich verpflichten den Treibhausgasausstoß deutlich runter- sowie den Anteil erneuerbarer Energien hochzufahren. Auch der Luftverkehr soll seinen Teil beitragen.

Düsseldorf. Frage: Frau Bundeskanzlerin, haben Sie schon Ihren nächsten Urlaubsflug storniert und stattdessen die Fischerkate an der Ostsee gebucht? Merkel: Zunächst einmal: Urlaub an der Oststee ist schön und muss keinen Vergleich scheuen. Ich glaube aber, dass wir beim Klimaschutz insgesamt schlüssig vorgehen müssen. Überspitzt gesagt: Wer zum Beispiel auf eine Urlaubsreise verzichtet, um zu Hause in der überheizten Wohnstube zu sitzen, trägt nicht zur Lösung der Klimaproblematik bei. Es geht also darum, insgesamt klimabewusstes Verhalten zu lernen: Was bringt wo wie viel? Ich empfehle zum Beispiel, zu Hause bewusst mit Energie umzugehen und wo immer möglich auf effiziente Technologien zu setzen. Frage: Mit dem Klimawandel verhält es sich wie mit der Demografie. Was jetzt getan wird, wirkt sich erst in 20 Jahren aus. Überspitzt formuliert: Ist die Welt noch zu retten?Merkel: Klimaforscher sagen uns, dass wir den Temperaturanstieg im Mittel auf zwei Grad begrenzen können, wenn wir rasch handeln. Wirtschaftliche Auswirkungen der Erderwärmung sind heute bereits sichtbar, denken Sie nur an die zunehmenden Schäden durch Sturm und Überflutungen. Wir müssen jetzt umsteuern. Deshalb wollen wir in der EU die Weichen richtig stellen. Und wir sind in den Beratungen vor dem heute beginnenden Gipfel weiter gekommen als noch vor einem Jahr denkbar erschien. Wir müssen darüber hinaus weltweit Abkommen erreichen, die uns nach 2012 eine Fortsetzung des Kyoto-Prozesses ermöglichen. Europa hat nur einen Anteil von 15 Prozent an den weltweiten Co2-Emissionen, mit abnehmender Tendenz. Europa kann das Weltklima nicht alleine retten. Von uns können aber neue Umwelttechnologien kommen, die andere Teile der Welt nicht selbst entwickeln können. Deshalb müssen wir Vorreiter sein. Jenseits der europäischen Ziele werden wir daher das Thema innerhalb der G 8 besprechen. Beim Gipfeltreffen im Juni in Heiligendamm können wir das auch schon mit weiteren Staaten erörtern: mit China, Mexiko, Indien, Brasilien und Südafrika. Frage: Was haben Sie sich für den EU-Gipfel am Donnerstag vorgenommen? Merkel: Wir wollen den in der Geschichte der EU konkretesten und ehrgeizigsten Aktionsplan zum Klimaschutz beschließen. Wir setzen uns dafür harte Ziele, sonst gibt es keinen ausreichenden Druck auf die Entwicklung der Technologien. Wir verpflichten uns, die Treibhausgase um 20 Prozent - und sogar um 30 Prozent, wenn andere Staaten wie die USA mitziehen - zu senken, die Energieeffizienz um 20 Prozent zu erhöhen, mindestens zehn Prozent Biokraftstoffe einzusetzen. Ein wichtiges Ziel wird sein, den Anteil erneuerbarer Energien deutlich zu erhöhen. Frage: Aber Sie müssen mit Widerstand einiger Länder gerade bei den Zielen für die erneuerbaren Energien rechnen.Merkel: Es ist nicht einfach, weil viele Länder sich sorgen, dass sie eine Vorgabe von 20 Prozent nicht schaffen. Wir brauchen deshalb eine Lastenverteilung in der EU, die den Möglichkeiten der Länder entspricht. Ein kleines Land wie Malta kann beispielsweise nicht so viel Windenergie erzeugen oder Biomasse in der Landwirtschaft anbauen wie ein großes Land wie Deutschland. Ich glaube aber, dass wir zu einer Lösung kommen, die konsequent beim Klimaschutz bleibt. Frage: Auch die Union nimmt die Klimadebatte zum Anlass, verlängerte Laufzeiten für Atomkraftwerke zu fordern. Wie ernst ist es Ihnen damit? Merkel: Wir halten uns an das, was im Koalitionsvertrag steht. Ich bin vertragstreu. Ich sage aber auch: Wer bis 2020 aus der Kernenergie aussteigen will, muss klären, wie er gleichzeitig die ehrgeizigen Klimaschutzziele erfüllen will, zu denen wir uns europäisch und international verpflichten. Diese Debatte ist noch nicht hinreichend geführt worden. Frage: Sie sagen aber auch, dass die Atomenergie nicht langfristig die Lösung für das Klimaproblem sein kann. Merkel: Deshalb setze ich mich so vehement für die erneuerbaren Energien ein. Wir brauchen einen ausgewogenen Energiemix und eine deutliche Steigerung der Energieeffizienz. Frage: Müsste nicht auch der Flugverkehr in den Emissionshandel einbezogen werden?Merkel: Wir haben im Augenblick viel damit zu tun, beim Emissionshandel eine faire Verteilung der Zertifikate zu finden für Braunkohle, Steinkohle und Erdgas, für den Mittelstand und die größeren Betriebe. Darauf müssen wir uns erst einmal konzentrieren. Gleichwohl wollen wir daran arbeiten, den Luftverkehr weltweit in den Emissionshandel mit einzubeziehen. Frage: Welchen Sinn macht eine Neuregelung der Kfz-Steuer, die enormen bürokratischen Aufwand verursacht? Wenn der Co2-Ausstoß verringert werden soll, müsste dann nicht der Benzinverbrauch anstelle der Motoren stärker besteuert werden?Merkel: Die Kfz-Steuer ist heute nur auf Hubraum und klassische Schadstoffe ausgerichtet, deshalb hat der Besitzer eines Co2-armen Autos keine Erleichterung bei der Kfz-Steuer. Ihn mit höheren Benzinsteuern zu belasten, wäre kein sachgerechter Anreiz. Die Bürger würden zu Recht fragen: Warum wird derjenige, der ein extrem Co2 sparendes Auto fährt, wie jeder andere auch mit der Erhöhung des Benzinpreises getroffen und nicht gezielt entlastet? Frage: Deutschland ist heute schon Musterschüler beim Klimaschutz. In der Bevölkerung könnte der Eindruck entstehen, dass andere Länder es sich bequem machen.Merkel: Wir können zeigen, dass man wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand erhalten und trotzdem die Co2-Emissionen senken kann. Unsere Hoffnung ist, die anderen dadurch zu überzeugen, dass Wachstum und ökologisches Verhalten keine Gegensätze sind, und gleichzeitig durch gute technologische Produkte Exportmärkte zu erschließen und Arbeitsplätze zu schaffen. Und wir müssen in internationalen Verhandlungen andere Länder davon überzeugen, diesen Weg mitzugehen.