Fußball-EM 2008: Hier tippt die ganze Welt

Je näher das große Ereignis rückt, umso mehr greift das Tipp-Fieber um sich. Das Internet erhöht den Spaßfaktor. Düsseldorfer Kreativköpfe haben, was der Fan so braucht.

Düsseldorf. Es ist ansteckend, aber harmlos - das EM-Fieber geht um, erfasst ganze Freundeskreise. Noch nicht mal in der Familie ist man sicher. Opa Karl erinnert an die schwarze Nacht von Belgrad, als Uli Hoeneß im EM-Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei im Elfmeterschießen den Ball über das Tor jagte.

20 Jahre später ging es gut aus, als Oliver Bierhoff das EM-Finale in London gegen Tschechien mit seinem Golden Goal für die Deutschen entschied. Nicht nur Onkel Michael spricht gerne davon.

Nur noch 21 Tage bis zur Fußball-Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz. Neben dem Auswendiglernen der Spielgruppen, der Spielernamen und der Austragungsorte gibt es noch ein Symptom - das Tipp-Fieber.

Wenn am Samstag, 7. Juni, im Baseler St. Jakob-Park die Partie Schweiz gegen Tschechische Republik angepfiffen wird, haben Millionen Menschen schon den Ausgang der Vorrunden-Spiele getippt.

Die wenigsten greifen dafür zu Stift und Block - wer eine Fußball-Tipprunde starten möchte, geht ins Internet. Dort tummeln sich immer mehr Anbieter - kommerzielle und private. Sie heißen tipponline.ch, fussballwette.de, oddset.de, kicktipp24.de oder kicktipp.de.

Einer der größten deutschen Anbieter kostenloser Internet-Tipprunden ist in Düsseldorf zu finden. Im Büro an der Klever Straße mitten in Pempelfort sitzen die Köpfe von kicktipp.de - Janning Vygen (36) und Jens Eversmann (35). "800000User sind auf unserem Portal angemeldet", sagt Vygen.

Dabei hat es vor 14Jahren bescheiden angefangen. Für Freunde hat Vygen, der damals Jura studierte, die erste online-Tipprunde programmiert. "Ich wollte nicht in irgendwelchen Internetforen gegen eine anonyme Masse tippen, wo man schnell auf Platz 500 von 10 000 landet.

Es ist doch viel spannender, sich mit seinen Freunden zu messen. Auch wenn man keine Chance mehr hat, auf Platz 1 zu kommen, will man einfach seinen Kumpel überholen", erinnert er sich.

Das Konzept ist simpel und unter den Internet-Tipprunden einzigartig: kleine Einheiten statt Masse, die Konkurrenz zwischen Freunden oder Kollegen. Einer meldet sich kostenlos als Spielleiter an und richtet die Tipprunde für die anderen ein. Der Spielleiter kann beliebig kombinieren: zum Beispiel aus WM, EM und Bundesliga, Premier League, Lega Nazionale Professionisti oder der Primera División.

Wer Exotischeres tippen möchte, wie lokale A-Jugend oder Thekenliga, kann diese selbst einbauen, muss aber auch die Ergebnisse eintragen. Der Spielleiter lädt die Tipper per E-Mail ein.

Davon waren Vygen und seine Freunde 1994 noch weit entfernt. Im kleinen Kreis tippten sie auf die Bundesliga. "Irgendwann hat sich jemand bei mir gemeldet, der die Tipprunde zufällig im Internet gefunden hatte, und wollte das Programm auch haben", sagt Vygen. Daraufhin entwickelte er das System so weiter, dass auch andere Tipprunden mitmachen konnten - das war kicktipp in der Version 1.0.

1999 traf Vygen den Architekturstudenten Jens Eversmann. Es ging um ein Thema: Fußball. Die beiden verstanden sich auf Anhieb prächtig. "Fußball? Ich bin ein Junkie!", sagt Eversmann, der unter anderem fürs Design der Website zuständig ist.

Er ist nicht nur glühender Fortuna-Fan, sondern interessiert sich auch für englischen Fußball. Vygen schüttelt den Kopf und sagt: "Bis ich ihn kennenlernte, glaubte ich, ein Fußballfan zu sein. Jetzt weiß ich - ich bin nur Sportschaugucker."

Die beiden gründeten im Jahr 2000 ihre Internetagentur - planwerk6. Kicktipp war bloß eine Zugabe mit ein paar hundert Usern. Der Durchbruch kam bei der EM 2004. Da gingen die Nutzer dank Mundpropaganda schon in die Zehntausende. Seit der WM 2006 sind es Hunderttausende. Inzwischen ist das Portal bei Google ganz vorne, wenn man "Tipprunde" eingibt.

Finanziert wird es nicht über Werbung, sondern durch die Vermarktung der Verwaltung. Das wirft einiges ab. "Wir stellen unser Programm der Website des Kunden zur Verfügung, der dann eigene Tipprunden initiieren kann", sagt Eversmann.

Zu den Kunden zählen Fernsehsender wie Sat1, Lebensmitteldiscounter und Tageszeitungen. "Das Hamburger Abendblatt macht zum Beispiel eine Tipprunde nur mit Hamburger Vereinen wie dem HSV und dem FC St.Pauli, aber auch mit der Eishockeymannschaft Hamburg Freezers", sagt Vygen.

Das Tipp-Portal hat inzwischen sogar richtige Fans. Einer schickte ein paar Fußball-Pokale, die jetzt im Büro stehen. "Das war Erwin Bayer aus Süddeutschland, er ist heute noch aktiv", weiß Vygen. Eversmann sagt: "Unsere verrücktesten User sitzen in Brasilien.

Wir vermuten, dass es Deutsche sind, die dort wohnen. Sie tippen neben den spanischen, englischen und südamerikanischen Ligen auch auf einige uns völlig unbekannte lokale Vereine wie Criciuma gegen Vasco da Gama."

Eversmann und Vygen tippen auch privat auf ihrem Portal. Eversmann: "Man schaut ganz anders Fußball, wenn man tippt." Vygen reizt der sportliche Wettkampf. Um den geht es nämlich in erster Linie. Und darum, den Kontakt mit den Freunden zu halten. Denn Gewinne schüttet das Portal nicht aus. Aber ist ein Grillabend mit den Tipp-Freunden nicht schon Belohnung genug?