Jungen und Mädchen: Der kleine Unterschied
Alte Rollenbilder von „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ haben ausgedient. Eltern wollen heute, dass ihr Kind alle Chancen hat – unabhängig vom Geschlecht.
Düsseldorf. Mädchen sind Heulsusen. Indianer kennen keinen Schmerz. Mädchen tragen Rosa. Jungen ziehen am liebsten abgewetzte Jeans an. Mädchen spielen mit Puppen. Jungen bauen wie richtige Männer. Mädchen sind Prinzessinnen, Jungs Cowboys.
Junge oder Mädchen, rosarot oder himmelblau? Irgendwo im Hinterkopf lauern diese Geschlechterklischees noch. Aber die meisten Eltern heute wollen dagegen angehen. Sie wünschen sich, dass ihre Kinder alle Möglichkeiten haben, unabhängig von ihrem Geschlecht.
Mädchen sollen weiblich, fürsorglich, aber auch selbstbewusst und aktiv sein. Sie sollen auf Bäume klettern und Türme aus Bauklötzen bauen. Nicht die Prinzessin auf der Erbse spielen. Jungen sollen männlich, stark, selbstbewusst und gleichzeitig sensibel sein. Keine Machos.
Typisch Junge, typisch Mädchen - was heißt das heute? Brauchen Töchter eine andere Erziehung als Söhne? Diese Fragen verunsichern Eltern. Denn Mütter und Väter wünschen sich starke Kinder, die flexibel mit den Vorstellungen von "typisch männlich" oder "typisch weiblich" umgehen können.
Schon kurz nach der Geburt unterscheiden sich Mädchen und Jungen voneinander. Das haben Untersuchungen an der Harvard-Universität gezeigt. Mädchen sind bereits in den ersten Stunden ihres Lebens etwas sozialer als Jungen.
Sie schauen ihren Eltern länger in die Augen und reagieren stärker auf deren Worte und Berührungen. Jungen dagegen weinen mehr und lassen sich schwerer beruhigen. Auch entwickeln sich Mädchen etwas schneller; sie fangen früher an zu sprechen und werden schneller sauber.
Noch deutlicher werden die Unterschiede in der Schule. Nach langen Jahren der Mädchenförderung sind die Jungen nun in den Blick geraten. Tatsächlich schneiden sie im Schulsystem schlechter ab: Zwei Drittel der Schulabbrecher sind Jungen und mit 56 Prozent stellen sie an den Hauptschulen die Mehrzahl, an den Gymnasien dagegen sind sie in der Minderheit.
Wirkt die kulturelle Prägung stärker als unser Erbe?
Doch insgesamt sind das nur Tendenzen. Denn in vielem ähneln sich Mädchen und Jungen auch. Das zeigen Studien ebenfalls. Die Psychologieprofessorin Janet Hyde von der Universität Wisconsin hat Geschlechter-Untersuchungen der vergangenen 20 Jahre überprüft. Dabei hat sie festgestellt, dass die Geschlechter sich in vielen Eigenschaften, nämlich zu 80Prozent, mehr gleichen als bisher angenommen.
Keine Frage, die Natur hat uns eine typisch weibliche oder typisch männliche Ausstattung mitgegeben. Doch vieles ist darüber hinaus anerzogen. Manche Wissenschaftler glauben sogar: Die kulturelle Prägung wirkt deutlich stärker als unser genetisches Erbe.
Kinder beginnen früh zu lernen. Schon mit drei Monaten können Babys Frauen- und Männerstimmen unterscheiden. Bei der hellen Stimme wissen sie: Aha, meine Mama kommt und versorgt mich gleich! Mit etwa anderthalb Jahren beginnen Mädchen, die Mutter nachzuahmen; die Jungen halten sich an den Vater.
Im Kindergartenalter bekommen die Geschlechterunterschiede eine besonders wichtige Bedeutung. Das hat der Entwicklungspsychologe Prof. Hanns Martin Trautner von der Universität Wuppertal festgestellt. Kinder begreifen, dass die Kategorien ihnen helfen, sich zurechtzufinden, und dass sie in der Welt der Erwachsenen offenbar eine bedeutende Rolle spielen.
Mädchen und Jungen stürzen sich geradezu auf ihre Rollen. Für Mädchen beginnt die Prinzessinnenphase, in der sie Rosa und Glitzer lieben. Jungen verschanzen sich jetzt am liebsten in der Bauecke.
Doch diese Phase geht vorbei. Durch solche stereotypen Verhaltensweisen erproben Kinder nur, was es heißt, ein Mädchen oder ein Junge zu sein. Sie können später umso lockerer mit den Rollenbildern umgehen. Aus der Prinzessin von heute kann dann durchaus eine Bauingenieurin oder Chemikerin werden.
Doch was können Eltern tun? Wichtig ist, dass sie die Unterschiede akzeptieren und Schwächen ausgleichen. Ebenso entscheidend ist, dass sie gute Vorbilder sind. Schon Kleinkinder beobachten genau. Vor allem ihre Eltern. Mütter und Väter sind in Sachen Geschlechterrollen die wichtigsten Rollenmodelle. Deshalb ist es gut, wenn sie sich die Aufgaben in der Familie partnerschaftlich teilen und ihre Kinder gleichberechtigt erziehen.
Feinmotorisches fördern Jungen sind bei feinmotorischen Aufgaben oft weniger geschickt als Mädchen und haben weniger Geduld. Deshalb brauchen sie Anreize dazu, mehr mit den Händen zu machen: puzzeln, malen, kneten, basteln.
In den Arm nehmen Studien haben ergeben, dass Eltern mit Mädchen oft zärtlicher umgehen als mit Jungen. Gerade Jungen sind aber besonders auf Trost und Zuwendung angewiesen. Gut, wenn Eltern sie viel in den Arm nehmen und bewusst Rituale pflegen, zum Beispiel vorm Einschlafen.
Viel mit Jungen sprechen Jungen reden weniger als Mädchen. Mit 18 Monaten hatte, so das Ergebnis einer Studie, die Hälfte der Mädchen einen Wortschatz von 56 Wörtern. Die Hälfte der Jungen dagegen beherrschte nur 28 Wörter. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern mit Jungen viel sprechen und ihnen häufig vorlesen.
Konflikte mit Worten lösen Wenn es unter Jungen kracht, werden sie leicht handgreiflich: Sie neigen eher dazu, ihre Fäuste als ihr Köpfchen einzusetzen. Eltern müssen ihnen noch helfen, Konflikte mit Worten zu lösen, und bei einem Streit vermittelnd eingreifen.
Fürsorge üben Auch Jungen sollen lernen, fürsorglich zu sein. Das können sie besonders gut üben, wenn sie bei der Pflege eines Geschwisterchens helfen dürfen oder ein eigenes Haustier bekommen.
Technik kennenlernen Gut, wenn Mädchen sich früh in männlich geprägte Bereiche trauen und Eltern haben, die ihnen Anreize bieten. Wer schon früh einen Schraubenzieher in die Hand gedrückt bekommt, wird sich auch später eher für Handwerkliches und Technisches begeistern.
Nach draussen gehen Mädchen beschäftigen sich gern in der Wohnung. Sie sind feinmotorisch geschickter, bewegen sich dafür aber weniger als Jungen. Deshalb ist es als Ausgleich wichtig, mit Mädchen viel nach draußen zu gehen, mit ihnen spielerisch zu raufen und zu toben. Das gibt ihnen ein gutes Körpergefühl.
Räumliches Denken schulen Weil Jungen eher die linke Hirnhälfte nutzen, die für mathematische Fähigkeiten und Denkprozesse zuständig ist, haben sie oft ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen. Kein Wunder, dass Männer in der Regel besser einparken und Karten lesen können. Such- und Zuordnungsspiele und Fahrten mit Bobbycar und Roller fördern die Raumwahrnehmung von Töchtern.
Viel zu trauen Mädchen dürfen auf dem Spielplatz auf die große Rutsche und zum Abendessen allein den Tisch decken. Das gibt ihnen Selbstvertrauen. Eltern neigen dazu, Mädchen mehr zu behüten als Jungen. Kinder, die man überbehütet, werden aber auf Dauer ängstlich und trauen sich irgendwann nichts mehr zu.