Interview mit Kinderpsychiater Khalid Murafi: Die seelischen Wunden heilen nie mehr

Kinderpsychiater Khalid Murafi spricht über die Folgen für die Opfer im Inzest-Fall.

Lüdinghausen. Khalid Murafi ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Er betreibt im münsterländischen Lüdinghausen eine eigene Praxis und ist unter anderem spezialisiert auf Traumafolgeerkrankungen bei Kindern. Von 2005 bis 2008 war er Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie imHamm.

Haben Sie so einen grausamen Fall wie in Amstetten schon einmal erlebt?

Khalid Murafi: Nein, in diesem Ausmaß nicht. Allerdings ist das Problem des Inzests verbreiteter als die meisten Menschen annehmen. Josef Fritzl zeigt die typischen Verhaltensmuster in einem Inzest-Fall. Er ist der Meinung, dass die Kinder nur ihm gehören und er mit ihnen machen kann, was er will. Im Vergleich zu anderen Tätern verfügt er allerdings über eine große kriminelle Energie.

Unter welchen Folgen leiden die Kinder, die im Verlies eingesperrt waren?

Murafi: Ein großes Problem dürfte die Reizüberflutung sein. Viele neue Reize strömen jetzt auf die Opfer ein, mit denen sie schwierig fertig werden können. Da sie über Jahre unter der Androhung von Angst gelebt haben, ist auch die plötzliche Freiheit ein Problem. Die Kinder werden sehr schreckhaft bleiben, und auch Schlafstörungen können zum Alltag gehören.

Die Opfer werden es immer schwer haben, Beziehungen einzugehen. Misstrauen und Angst werden nur schwer verschwinden. Die permanente Konfrontationen mit der Leidensgschichte in der Öffentlichkeit dürfte eine Therapie noch schwerer machen.

Dass die Opfer die Folgen vollständig in den Griff bekommen, ist also auszuschließen?

Murafi: Ich denke schon. Oberstes Therapieziel kann nur sein, dass die seelischen Wunden vernarben. Heilen werden sie nie mehr. Das ist aber bei Patienten mit solchen post-traumatischen Erkrankungen normal. Es kann nur darum gehen, das Leben der Opfer halbwegs zu normalisieren.