Jubiläum: Der abonnierte Wahnwitz
„Titanic“, Deutschlands bestes Satiremagazin, wird 30 Jahre alt. Gratulation!
Düsseldorf. Böse Zungen behaupten ja, Deutschland sei ein Land mit eher geringem Unterhaltungswert. Die politische Szenerie wird beherrscht von artigen Bürokraten; die Musik kommt von Blasorchestern und Casting-Stars; die Landschaft besteht größtenteils aus Mischwäldern und Mittelgebirgen. Doch zum Glück gibt es "Titanic", die Satirezeitschrift, die in diesem Oktober ihren 30. Geburtstag feiert.
"Titanic" erbringt Monat für Monat den Beweis, dass das Klischee von der deutschen Eintönigkeit Unfug ist. Stattdessen erfreut sie uns dank ihrer Titelcover, Karikaturen, Comics und Glossen mit der durch und durch kurzweiligen Realität: Dieses Land ist völlig durchgeknallt!
Nur ein paar Beispiele: 2006 berichtete "Titanic" von der traumatischen Vergangenheit Angela Merkels im Regierungskabinett der frühen 90er Jahre - die Schlagzeile "Kohls Mädchen packt aus: Ich musste Kanzler zu ihm sagen" erübrigt alles. Im Jahr 1993 präsentierte die Zeitschrift auf einer Foto-Montage die Replik Björn Engholms auf den mysteriösen Tod seines CDU-Konkurrenten Uwe Barschel. Darauf liegt der damalige SPD-Ministerpräsident grinsend in einer Genfer Badewanne. 2007 schließlich gab sich die "Titanic" service-orientiert und riet ihren Lesern: "Vier gute Gründe gegen Kinder" und zeigte ein Bild der Teenie-Band Tokio Hotel.
So spiegelt sich auf den Covern der "Titanic" der Wahnsinn deutscher Zeitgeschichte in einer ähnlichen Pointiertheit wider wie auf den Titeln des "Spiegel" - mit dem Unterschied, dass die "Titanic" nicht an die Gebote politischer Korrektheit gebunden ist, sondern im Gegenteil ihr Daseinszweck im gezielten Bruch formaler Konventionen besteht.
Das Magazin, das 1979 von einem Kreis intellektueller Paradiesvögel wie Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, F. K. Waechter und Chlodwig Poth gegründet wurde, liefert den Test für die gesellschaftliche Liberalität in diesem Land: Welchen Grad der Kritikschärfe halten die Mächtigen aus? Wann überwiegen angesichts kabarettistischen Spotts Intoleranz und gekränkte Eitelkeit?
55 Mal haben Prominente, die ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sahen, gegen die "Titanic" geklagt - darunter "Focus"-Chefredakteur Helmut Markwort und der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck. In 35 Fällen sprachen sich die Gerichte für ein Verbot der jeweiligen Ausgabe aus. Die Empörung der Opfer ist freilich ganz im Sinne der "Titanic"-Macher, ist sie ihnen doch nur Beleg dafür, dass der Witz gesessen hat: Er hat eine wunde Stelle entlarvt. Schwächen aufzudecken, das war schon immer die vornehmste Aufgabe der Satire.
Sieben Chefredakteure hat "Titanic" in den drei Jahrzehnten ihrer Existenz verschlissen. Darunter Provokateure wie Martin Sonneborn, der inzwischen als Vorsitzender der "Partei" eine Kunstfigur erschaffen hat, die den Populismus der Parlamentarier in Berlin gnadenlos karikiert.
Derzeit sitzt der 28-jährige Leo Fischer im Chefsessel. Er hat sich einmal als "Parasit des Elends" bezeichnet. Den Unterhaltungswert dieses "Elends" zu bekritteln, käme ihm nicht in den Sinn: Wenn dieses Land langweilig wäre, würde der Redaktion nicht jeden Monat ein solch formidables Heft gelingen.