Alemanns Analyse: An Steinmeier führt kein Weg vorbei
Ulrich von Allemann analysiert den derzeitigen Zustand der SPD:
Düsseldorf. Die Werbung kennt den Frühstarter-Bonus. Aber die deutschen Politiker fürchten nichts mehr, als zu früh nominiert zu werden, insbesondere als Kanzlerkandidat. Deshalb zögert die SPD, Frank-Walter Steinmeier als Kandidat auszurufen, obwohl jeder weiß, dass nach menschlichem Ermessen kein Weg an ihm vorbeiführt.
Woher rührt diese Scheu, diese Angst, die beispielsweise im britischen Mutterland des Parlamentarismus keiner kennt? Nach der Wahl eines Premierministers kontert die andere große Partei sofort mit der Ernennung eines Schattenpremiers. Denn für einen Regierungswechsel muss die andere Seite demonstrieren, dass sie jederzeit bereit ist, die Macht und die Ämter zu übernehmen.
Bei uns dagegen fürchtet man, der Gegenkandidat könnte nach einem langen Vorwahlkampf zerrieben, zerredet, zermürbt werden - von den Medien, den anderen Parteien, vielleicht auch von Heckenschützen aus dem eigenen Lager. Dabei sind zwei erfolgreiche Kanzler früh als Kandidaten gestartet, haben mehrere Legislaturperioden durchgehalten und sind doch noch als Staatsmänner in die Zeitgeschichte eingegangen: Willy Brandt und Helmut Kohl.
Der wahre Grund für den Rat, doch nicht zu früh zu starten, liegt vielmehr meist darin, dass sich die Partei noch nicht entscheiden kann oder will. Und so ist es jetzt auch wieder in der SPD. In der Zange zwischen einer erfolgreichen Kanzlerin und ihrer Union einerseits, die sich auch wieder sozial gibt, und der Linken andererseits, die das Credo der SPD bestreitet, sie sei die Partei der sozialen Gerechtigkeit, in dieser Zwickmühle fällt die Partei immer mehr zurück in Umfragen und Wahlen. Das Dilemma, ob die Strategie heißen muss zurück zur Mitte oder links profilieren, führt die Partei in eine tiefe Verunsicherung und eine Mischung aus Apathie und Hektik.
Der Parteivorsitzende Kurt Beck sollte als Mann der Mitte und erfolgreich alleinregierender Ministerpräsident der SPD - zurzeit auf einsamer Flur - Ruhe in die Partei bringen und eine politische Alternative zur Berliner Großen Koalition aufzeigen. Das ist nicht gelungen. Sicher nicht allein durch seine Schuld, aber doch in seiner Verantwortung.
Bei allem Bemühen des Ausgleichs ist er in die Unverbindlichkeit entglitten. Ist er für oder gegen die Agenda 2010? Für oder gegen Bündnisse mit der Linken? Sein Agieren und Lavieren gegenüber seiner Parteifreundin Ypsilanti und ihrer Bündnisstrategie mit der Linken hat ihm endgültig seine frühere Glaubwürdigkeit gekostet. So geriet er - und seine Partei mit ihm - auf eine abschüssige Bahn in den Umfragen, die er nicht mehr umzudrehen in der Lage ist. Denn sein wichtigstes Kapital, die Glaubwürdigkeit als ehrlicher Makler, ist spätestens seit Hessen hin.
Beck klebt nun das Pech wie schwarzer Teer an den Schuhen. So kommt er nicht mehr voran. Deshalb sollte er schnellstmöglich den Weg frei machen für einen Befreiungsschlag. Die umgehende Benennung von Steinmeier als Kanzlerkandidat der SPD könnte die politische Phantasie der Wähler und der Medien anregen. Dabei ist es durchaus sinnvoll, dass Beck Parteichef bleibt und versucht, Steinmeier den Rücken freizuhalten.
Dass man der politischen Phantasie gleich vollen freien Lauf lässt und Franz Müntefering als neuen und alten Parteichef ins Spiel bringt, soweit muss man nun doch nicht gleich gehen. Müntefering könnte als knorriges Urgestein im Bundestag, in Wahlkämpfen und auch als Ratgeber eine hervorragende Rolle spielen. Das müssen nicht formale Führungsämter sein.
Die SPD könnte in vielfacher Weise in den Krisen dieser Tage von ihren großen Alten lernen, von Willy Brandt und von Helmut Schmidt. Auch Brandt hat als Außenminister einer Großen Koalition den Sprung in das Kanzleramt geschafft. Die Lage ist zwar ernst, aber in der Politik ist nichts unmöglich. Und er wie auch Schmidt haben sich nach Verlust ihrer Ämter große Verdienste als elder statesmen erworben - nicht nur für ihre Partei, sondern auch für unser Land.