Analyse: Ein Austausch für den Frieden in Nahost
Die Israelis wollen ihren Soldaten Schalit zurück. Dafür könnte ein Führer der Fatah freikommen.
Düsseldorf. Marwan Barghuti ist seit Jahren der populärste palästinensische Politiker. Der knapp 50-Jährige und seit 2002 in israelischer Haft sitzende charismatische Fatah-Führer genießt Autorität über alle politischen Grenzen der sonst so heillos zerstrittenen palästinensischen Parteien hinweg. Barghuti habe die Autorität, sowohl die Palästinenser zu einen, als auch schmerzhafte Kompromisse mit Israel durchzusetzen, heißt es.
Bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über einen Austausch des israelischen Soldaten Gilad Schalit steht der Name Barghuti auf der mehr als 900 Namen umfassenden Liste palästinensischer Häftlinge ganz oben. Die Verhandlungen unter deutscher Vermittlung stehen kurz vor dem Abschluss, stocken aber, weil 50 Namen in Israel umstritten sind. Darunter: Marwan Barghuti.
Der 1960 geborene Barghuti war Fatah-Chef und Führer der zweiten Intifada im Westjordanland. Israelische Soldaten nahmen ihn 2002 fest und verschleppten ihn nach Israel, wo er 2004 wegen "Mordes, Verschwörung zum Mord" und "Aktivitäten in einer terroristischen Organisation" zu fünfmal lebenslänglich und 40 Jahren Haft verurteilt wurde. Barghuti bestritt die Anklage und weigerte sich, das Gericht anzuerkennen. Er berief sich auf seine Immunität als Abgeordneter des palästinensischen Parlaments und nutzte die Bühne des Gerichts, um seinerseits in hebräischer Sprache die israelische Besatzungspolitik anzuklagen.
Der Auftritt vor Gericht festigte sein Ansehen, sahen doch viele Palästinenser in Barghuti einen Mann, der anders als die PLO-Führer die Interessen ihrer Nation mit Würde vertrat. Zudem hatte sich Barghuti von der als korrupt geltenden Fatah-Führungsclique um Arafat, Abbas oder Dahlan immer fern gehalten. Als Barghuti 2005 aus dem Gefängnis heraus als Präsident kandidieren wollte, beugte er sich dem Druck der Fatah-Führung, die Mahmud Abbas ins Amt bringen wollte.
Das scheint auch der Hintergrund des gegenwärtigen Streits zu sein. Barghuti würde das Vakuum füllen, das der ohne jede verfassungsmäßige Grundlage amtierende Präsident Abbas hinterlassen hat. Eine Freilassung Barghutis müsste Abbas weiter ins Abseits drängen. Das erklärt das Zögerns Israels, das nun zwischen den Chancen und Risiken eines Machtwechsels in der Fatah zu abzuwägen hat. Die Entscheidung wird aber auch zeigen, wie ernst es Israel mit einem Friedensschluss ist.