Arznei: So sicher wie möglich

Gesundheit: In den USA sind unabhängige Studien über neue Medikamente geplant. Ein Vorbild?

Düsseldorf. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker: Der Hinweis suggeriert Sicherheit bei Kauf und Einnahme eines Medikaments. Doch eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben, sagen die Experten. Es kann also nur darum gehen, Arzneimittel so sicher wie möglich zu machen.

Wolf-Dieter Ludwig, Professor für Innere Medizin in Berlin und zugleich Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, sieht genau hier Verbesserungsbedarf. Ludwig geht davon aus, dass maximal zehn Prozent aller auftretenden Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten durch Ärzte und Apotheker bei den zuständigen Stellen gemeldet werden. Das sind neben der Kommission das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), die gemeinsam eine Datenbank führen.

Hinzu komme, dass trotz umfassender Studien vor der Zulassung von Medikamenten niemals alle Neben- und Wechselwirkungen auszuschließen seien. "Wenn wir vor einer Markteinführung alles wissen müssten, würde niemals ein Medikament zugelassen", erklärt der Experte.

Der Grund: Arzneigabe bleibt ein Risikoprozess - was wirkt, kann auch Wechselwirkungen haben. Und: Neue Medikamente werden in klinischen Studien häufig an jüngeren Erwachsenen ohne wesentliche Begleiterkrankungen getestet. Welche Wirkungen sie "im richtigen Leben" haben, bleibt unklar. Nicht umsonst treten Probleme in erster Linie bei älteren Patienten auf, die permanent auf mehrere verschiedene Arzneimittel angewiesen sind.

Umso wichtiger sei, insbesondere die neuen Wirkstoffe im Auge zu behalten, sagt der Mediziner. Sie sollten nach ihrer Zulassung über zwei bis fünf Jahre durch unabhängige Studien geprüft werden. Ludwig verweist auf die USA, wo dies künftig vorgeschrieben sei. Unternehmen, die sich der Vorgabe widersetzten, drohten harte Strafen. Dies könne - so Ludwig weiter - für Deutschland ein Vorbild sein.

Der Onkologe führt zugleich eine Vorgabe in Italien an: Dort müssten Pharmakonzerne rund fünf Prozent ihrer Marketingausgaben für die Finanzierung solcher unabhängiger Studien zur Verfügung stellen. Bislang gehe in Deutschland dagegen ein sehr hoher Prozentsatz aller Investitionen nach Marktzulassung in die Werbung.

Ulrich Hagemann, Leiter der Abteilung Arzneimittelsicherheit beim BfArM, befürwortet unabhängige Studien grundsätzlich. Allerdings sagt er: "Es muss auch gesagt werden, wie das finanziert werden soll." Solange der Staat nicht bereit sei, für solche Untersuchungen Geld bereit zu stellen, seien solche Studien nicht realisierbar. Sein Vorschlag: die Gründung eines Fonds, in den Pharmafirmen, Staat und Krankenkassen einzahlen.

Bereits geplant ist, dass der Bund im kommenden Jahr mehr Geld für die Arbeit der sogenannten Pharmakovigalenz-Zentren ausgibt: Die Förderung soll von derzeit 1,2 auf 1,5 Millionen Euro im Bundeshaushalt steigen, wie eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministerium sagt. Derzeit gibt es sechs solcher Zentren, die sich um die Arzneimittelsicherheit kümmern. Hagemann begrüßt diese Entwicklung. Die Zahl der Zentren soll nach seinen Angaben mittelfristig auf zehn bis zwölf steigen. Er warnt allerdings auch vor einer Panikmache in Sachen Arzneimittelsicherheit: Die Zulassung und Prüfung neuer Wirkstoffe und Medikamente sei europaweit abgestimmt und habe einen hohen Qualitätsstandard.

Die Pharmafirmen sehen derweil keinen Bedarf für unabhängigen Studien. Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), hält die derzeitigen Vorschriften zur Arzneimittelsicherheit für ausreichend. Erst 2005 seien neue Regelungen in Kraft getreten: Die Industrie müsse den Behörden seitdem ein "umfangreiches Paket" an Studien nach Marktzulassung von neuen Medikamenten vorlegen. Kritik, dass diese Studien von den Konzernen zur Verfügung gestellt werden, die die Medikamente vermarkten, könne er nicht nachvollziehen. Diese Untersuchungen würden von unabhängigen Ärzten an Kliniken durchgeführt.

Lipobay Der Cholesterin-Senker Lipobay wird im August 2001 vom Bayer-Konzern weltweit vom Markt genommen. Das Arzneimittel steht im Verdacht, für den Tod von 100 Patienten verantwortlich zu sein.

Vioxx Im September 2004 wird das Medikament Vioxx zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen und Schmerzen vom US-Hersteller Merck vom Markt genommen. In einer Studie war ein erhöhtes Herzproblem-Risiko nach Einnahmen des Medikamentes festgestellt worden.

Trasylol Im November dieses Jahres teilt der Bayer-Konzern mit, dass der Blut-Stiller Trasylol, der bei Herzoperationen verabreicht wird, vorerst nicht mehr vermarktet wird. Vorläufige Ergebnisse einer Studie deuteten darauf hin, dass mehr Patienten nach der Trasylol-Einnahme sterben als bei Verabreichung ähnlicher Präparate.

Wir Menschen des 21. Jahrhunderts sind es gewohnt, auf die Fortschritte der Wissenschaft zu vertrauen. Und richtig ist: Ein großer Teil der Erfolge in der Medizin ist auf neue Entwicklungen der Pharmaindustrie zurückzuführen. Um so beunruhigender mag eine Erkenntnis sein, die für Experten eine Selbstverständlichkeit ist: Eine hundertprozentige Sicherheit bei der Einnahme von Arzneimitteln wird es nie geben. Wichtig ist daher eine strenge Kontrolle nicht nur bei der Zulassung, sondern auch bei der Anwendung von Medikamenten - um das Risiko so niedrig wie möglich zu halten.