Die Kanzlerin rüffelt die Wirtschaft

Arbeitgebertag: Merkel mahnt soziale Verantwortung der Firmen an.

Berlin. Die Kanzlerin kam mit Verspätung zum Arbeitgebertag. Die versammelten Unternehmer mussten warten, weil im Kabinett eine sozialpolitische Entscheidung auf der Tagesordnung stand: die Bezugsdauer des ArbeitslosengeldesI für ältere Erwerbslose. Angela Merkels Prioritätensetzung hatte Symbolgehalt. Denn der Streit um Mindest- und Maximallöhne kommt einer Fortsetzung der Arbeitslosengeld-Debatte mit anderen Akzenten gleich. Auch diesmal geht es um die soziale Gerechtigkeit.

"Nehmen Sie diese Debatte ernst! Tun Sie sie nicht einfach als Neiddebatte ab!", redete die Kanzlerin den fast 1000 Arbeitgebervertretern ins Gewissen. Mit ungewöhnlich scharfen Worten hatte Merkel bereits beim CDU-Parteitag überzogene Managergehälter und Vorstandsabfindungen gegeißelt. "Liebe Aufsichtsräte, glauben Sie, Ihre Mitarbeiter lesen keine Zeitungen oder beherrschen die Grundrechenarten nicht?", hatte sie spitz gefragt. Nur im Ton variierte die Kanzlerin nun ihre Botschaft, in der Sache blieb sie konsequent.

Sie zitierte aus einer Studie des Allensbach-Instituts, der zufolge nur noch 15 Prozent der Deutschen die wirtschaftlichen Verhältnisse als gerecht ansehen. An einem solchen Befund könne die Politik "nicht wortlos" vorübergehen, betonte Merkel. Höflich, aber klar erkennbar gab die Kanzlerin der Wirtschaft einen Großteil der Schuld an dieser Entwicklung, als sie auf das Thema Tarifautonomie zu sprechen kam. In einzelnen Branchen nehme die Tarifbindung kontinuierlich ab, kritisierte Merkel im Zusammenhang der Diskussion über niedrige Löhne. Insbesondere die Situation im Dienstleistungsbereich bereite ihr "die allergrößten Sorgen", sagte Merkel.

Die Arbeitgeber durften es durchaus als Drohung verstehen, mindestens aber als Aufforderung zum Handeln, als die Kanzlerin sagte: "Wir kommen in eine ganz entscheidende Phase miteinander." Sie werde sich die Tariflandschaft noch einmal "genau anschauen". Das sollte heißen: Wenn die Wirtschaft nicht selbst für akzeptable Löhne sorge, werde die Politik eingreifen.

Prinzipiell setzt Merkel allerdings auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. So sprach sie sich ausdrücklich gegen gesetzlich festgelegte Obergrenzen bei der Bezahlung von Managern aus, regte allerdings Aktivitäten der "Cromme-Kommission" an. Das Gremium unter der Leitung von Thyssen-Krupp- und Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme hat schon in der Vergangenheit Regeln für eine gute Unternehmensführung entwickelt.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt betonte, er nehme die Kritik an überzogenen Managergehältern "sehr ernst". Auch der Wirtschaft könne es nicht gleichgültig sein, wenn der Eindruck entstehe, dass Mitarbeiter mehr am Wohl ihres Unternehmens interessiert scheinen als mancher Vorstand oder Betriebsratschef.