Die Sieger bangen um den Preis

Kommunen: Die Städte jubeln verhalten über den Sieg vor Gericht und trauen dem Land nicht über den Weg.

Düsseldorf. Die Sektkorken knallten gestern nicht gerade in den Rathäusern zwischen Rhein und Weser. Auf das Urteil des Landesverfassungsgerichts Münster, nach dem das Land mindestens 450 Millionen Euro an die Kommunen zurückzahlen muss, reagierten die Lokalfürsten mit einer Mischung aus Befriedigung ("Wir haben das ja immer gesagt") und banger Erwartung ("Hoffentlich bekommen wir jetzt unser Geld").

"Ich hoffe, das Land sucht nun nach einem vernünftigem Weg, der allen Beteiligten hilft. Sofern das Geld allerdings in den kommunalen Finanzausgleich geschüttet wird, werden die reichen Kommunen kaum etwas zurückbekommen", zeigte sich selbst der sonst so selbstbewusste Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU) nur bedingt optimistisch. Erwin war einer der Klageführer für die insgesamt 21Kommunen, die vor das Landesverfassungsgericht gezogen waren.

"Für uns wäre das eigentlich eine Rückerstattung von rund 900000 Euro. Aber ich kann nur vor zuviel Euphorie warnen. Wer weiß, ob das Land das Geld nicht durch die Hintertür zurückholt", sagte der Monheimer Kämmerer Max Hermann.

Auch in den anderen Städten saßen die Kämmereimitarbeiter gestern zusammen, um erst einmal zusammenzustellen, wie hoch der Anspruch ist. Eine verlässliche Rechnung ist dabei schwierig, gilt es doch, die eigene Steuerkraft in Verhältnis zu anderen zu setzen, um ungefähr zu errechnen, wie viel einer Kommune von dem 450-Millionen-Euro-Topf eigentlich zustünde.

Überall überwiegt aber das Misstrauen. Schließlich sind die Kommunen bereits jede Menge Kummer gewohnt: Schon des öfteren haben sie mit Klagen gegen gesetzliche Vorgaben des Bundes oder des Landes Erfolg gehabt. Eine faire Erstattung hat es aber in den seltensten Fällen gegeben.

Das Urteil trifft das Land wiederum zu einem sehr unglücklichen Zeitpunkt. In der kommenden Woche soll der Haushalt für das Jahr 2008 verabschiedet werden. Die Rahmendaten stehen längst fest, ein Umschichten in dreistelliger Millionenhöhe oder gar eine Aufstockung der Neuverschuldung wären technisch nicht zu stemmen und politisch eine noch größere Blamage. Und so kündigte Innenminister Ingo Wolf (FDP), der aus unerfindlichen Gründen das Urteil als Erfolg wertete, an, man werde erst im kommenden Jahr entscheiden, wer wie viel Geld erhält.

Niederlage Die 21 klagenden Städte und Gemeinden haben nicht auf ganzer Linie gesiegt. In einem für sie wichtigen Punkt haben sie verloren. Sie haben in Münster auch gegen die Systematik im neuen Gemeindefinanzierungsgesetz geklagt, nach der der interne Finanzausgleich organisiert wird. CDU und FDP hatten 2006 die Gewerbesteuer zum Gradmesser gemacht, vorher wurde auch die Einkommenssteuer herangezogen. Kommunen, auf deren Gebiet potente Firmen angesiedelt sind, sollten mehr zahlen als Städte und Gemeinden, die einen geringeren Gewerbesteueranteil haben. Das galt auch für die Zahlungen für den Aufbau Ost. Gegen das neue Gesetz haben reiche Städte wie Düsseldorf oder Bonn geklagt. Doch die Richter wiesen diesen Aspekt der Klage ab.

Verfassungsgemäss Es sei vom Gestaltungsspielraum des Landes gedeckt, wenn gewerbesteuerstarke Gemeinden stärker an den Kosten für die deutsche Einheit herangezogen werden als ärmere, befand das Gericht. An diesem Punkt sei die Gesetzgebung der schwarz-gelben Landesregierung nicht zu beanstanden, so die Richter.

Zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres hat das Landesverfassungsgericht in Münster die schwarz-gelbe Landesregierung bei einem dicken Rechtsbruch erwischt. Im ersten Fall bescheinigten sie Finanzminister Helmut Linssen (CDU), dass sein Nachtragshaushalt für das Jahr 2005 verfassungswidrig war. Das hörte sich dramatisch an, hatte aber tatsächlich keinerlei konkrete Konsequenzen - eine zu hohe Neuverschuldung gehört leider zum politischen Alltagsgeschäft. Ganz anders ist der aktuelle Fall gelagert. Er bedeutet ein Milliarden-Risiko für den Haushalt und ist politisch eine sehr schwere Niederlage für Innenminister Ingo Wolf (FDP) und auch Landesfinanzminister Helmut Linssen.

Denn im Klartext haben die Richter nichts anderes gesagt als das: Ihr habt die Kommunen alleine im Jahr 2006 um 450 Millionen Euro übervorteilt und müsst das Geld zurückzahlen. Da für das laufende und für das kommende Jahr nach der gleichen Systematik abgerechnet wurde beziehungsweise noch abgerechnet werden soll, ist das Land nicht nur bis auf die Knochen blamiert, sondern vor allem auch bei der Finanzplanung weit zurückgeworfen.

Schwarz-Gelb hat sich für einen rigiden Sparkurs und für eine starke Reduzierung der Neuverschuldung feiern lassen. Davon muss nun augenscheinlich einiges zurückgenommen werden. Denn ein guter Teil der Bilanzaufhübschung erfolgte zu Lasten der Kommunen, folgt man den Münsteraner Verfassungsrichtern. Das ist kein Sparen, das ist Tricksen.

Besonders für Innenminister Wolf wird die Luft immer dünner. Er ist für die Gemeindefinanzierung zuständig, er hat offenkundig gravierende Fehler gemacht. Vor dem Bundesverfassungsgericht wird gerade sein Gesetz zur Online-Durchsuchung zerpflückt - der Minister steht mit dem Rücken zur Wand, seine Gesetze sind nur höchst bedingt gerichtsfest.

Die Kommunen benötigen möglichst schnell eine klare Ansage, wer wie viel Geld zurückerhält. Sie werden voller Argwohn darauf achten, dass das Land nicht erneut zu fragwürdigen Methoden greift. Das Geld muss auf Euro und Cent sauber abgerechnet werden - und zwar für die Jahre 2006 bis 2008. Alles andere wäre ungerecht.