Belgien sucht den Weg aus dem Chaos

Sechs Wochen nach der Wahl ist immer noch völlig unklar, wer das Land künftig regiert.

Brüssel. Am Schluss war dann doch alles zu kompliziert. Wochenlang hatte in Belgien der französischsprachige Sozialistenchef Elio Di Rupo vorgefühlt, tagelang mit möglichen Koalitionspartnern bis in die Nacht verhandelt - nun braucht er mehr Zeit für seine Mission als sogenannter Vor-Regierungsbilder. Erst einmal wollen die Politiker durchatmen und einen kurzen Sommerurlaub machen. So ist in Belgien auch sechs Wochen nach den vorgezogenen Neuwahlen nur eines klar: dass weiterhin alles unklar ist.

Der Rechtsruck bei den Wahlen im Juni hatte das Land schockiert. In Flandern gewannen die flämischen Nationalisten (N-VA) mit klarem Vorsprung, in der Wallonie die Sozialisten. Ihre Positionen könnten unterschiedlicher nicht sein: N-VA-Chef Bart De Wever tritt für die Autonomie Flanderns ein ("Belgien ist ein gescheitertes Land"), die Sozialisten lehnen dies ab.

Manche hoffen bis September auf eine Regierung, der neben N-VA und Sozialisten wohl auch die Christlichen Demokraten angehören werden. Andere glauben, es werde bis Jahresende dauern.

Die Hängepartie verunsichert das zerrissene Land, das Gefahr läuft, 180 Jahre nach seiner Gründung im Zwist zwischen der französischsprachigen Wallonie und dem niederländischsprachigen Flandern zerrieben zu werden.

Für den Fall, dass der Bundesstaat zerfällt, hat der Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft, Karl-Heinz Lambertz, jüngst schon öffentlich über Alternativen nachgedacht. Dann gebe es für die Deutschen in Belgien "hypothetisch" drei Möglichkeiten: "Rückkehr nach Deutschland, Anbindung an Luxemburg oder ein unabhängiger Kleinstaat à la Liechtenstein." Die kleine deutschsprachige Gemeinschaft rund um die Stadt Eupen hat knapp 80 000 Einwohner.

Die Auflösung des Bundesstaates dürfte aber erst einmal Zukunftsmusik sein. Laut Umfragen ist selbst in Flandern eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung gegen die Spaltung Belgiens. Allerdings bringt der schwelende Sprachenstreit schon seit Jahrzehnten das Land an den Rand der Unregierbarkeit und ist der Hauptgrund für die Kurzlebigkeit belgischer Regierungen.