Die FDP beendet ihre Trauerarbeit
Harte Kritik, Selbstmitleid und eine ausgetauschte Parteispitze — wie die Liberalen ihr Wahldesaster verarbeiten.
Berlin. Den „liberalen Neustart“ propagiert die FDP auf ihrer Internetseite, doch was der Parteitag am Samstag und Sonntag in Berlin macht, ist vor allem Vergangenheitsbewältigung. Bis schließlich ein neuer Hoffnungsträger mit 79 Prozent zum Vorsitzenden gewählt ist: Christian Lindner, 34 Jahre alt. Sein Vorgänger, Philipp Rösler, umarmt etliche Delegierte überschwänglich, als er den Saal betritt. Nicht jeder blickt dabei glücklich. Ein Team der „Heute-Show“ folgt ihm auf Schritt und Tritt.
Die Satire aber liefert Rösler in seiner Rede selbst. In einer wirren Sequenz sagt er, man stelle sich vor, er gehe ohne Jacke auf die Friedrichstraße. In der Zeitung stehe dann: „Rösler nackt auf der Friedrichstraße“. Und keiner der Parteifreunde trete dem entgegen. Böse Medien und mangelnde Solidarität, das sind für Rösler die Ursachen für das Desaster vom September. Im Saal betretenes Schweigen.
Kaum anders redet Rainer Brüderle, der gewesene „Spitzenkandidat“. Er gibt zu, dass die Zweitstimmenkampagne sein Fehler war. Aber als Hauptursache macht er die „Vernichtungssehnsucht gegen uns“ aus, die Presse. Ohne sie zu nennen, erinnert er an die Sexismus-Affäre.
Brüderles wahrscheinlich allerletzte Rede vor einem großen Auditorium endet mit dem Satz: „Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen, wir lassen uns unsere Ehre nicht nehmen“. Es ist eine peinliche Anleihe an die Worte, mit denen sich der Sozialdemokrat Otto Wels 1933 gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz wehrte.
Mit der Wahl Lindners endet die Selbstbespiegelung abrupt. Die 662 Delegierten sind erneut nur allzu gern bereit, einem vermeintlichen Messias zuzujubeln, so wie zuletzt Rösler, so wie davor fast ein Jahrzehnt lang Guido Westerwelle. Nach Lindners gestrigen Grundsatzrede springen sie auf, klatschen minutenlang. Lindner ist rhetorisch begabt. „Ich will der FDP den Respekt wieder zurückgeben, den sie verdient“, ruft er. „Die Zeit der Trauerarbeit ist zu Ende.“ Starken Beifall bekommt er mit seiner Absage an einen europakritischen Kurs. „Wir wären verrückt der nationalökonomischen Bauernfängertruppe von der AfD nachzujagen.“
Bei den Vorstandswahlen setzt sich die von Lindner vorgeschlagene Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gegen Frank Schäffler als Parteivize durch. Die anderen beiden neuen Stellvertreter, Schleswig-Holsteins Landeschef Wolfgang Kubicki und sein Thüringer Kollege Uwe Barth, haben keine Gegenkandidaten. Zusammen mit dem wieder aktivierten Schatzmeister Hermann Otto Solms (73) und der neuen Generalsekretärin Nicola Beer bilden sie die Führung.