Ein Bürger geht ins Bellevue
Joachim Gauck (72) erfährt viel Zuspruch bei den Bürgern und den Politikern im Land.
Berlin. Etwas besser kennengelernt haben die Bundesbürger Joachim Gauck nun doch schon. Vier Wochen ist es her, dass der parteilose Pastor aus dem Osten durch den Schwenk von Kanzlerin Angela Merkel zum aussichtsreichsten Kandidaten für das Präsidentenamt aufstieg.
Seitdem hat er einige öffentliche Auftritte hinter sich gebracht — und die Menschen wissen mehr über den Mann, der am Sonntag zum 11. Bundespräsidenten gewählt wird.
Es war in Hamminkeln im Rheinland, wenige Tage nach seiner Nominierung. Bei der CDU in NRW stellte sich der Kandidat vor, viele der anwesenden Christdemokraten hatten sofort das Gefühl, der Mann sei einer von ihnen.
Der 72-jährige Protestant mit seiner Erfahrung der DDR-Diktatur könne der westdeutschen Gesellschaft die Augen öffnen, wenn er von Freiheit, Marktwirtschaft und Wohlstand rede, meinte Landeschef Norbert Röttgen. So möchte es die Union. Gauck genießt den Beifall.
Auf seiner Reise durch die Bundesländer in der schon präsidialen Limousine aus Berlin, erfährt der Kandidat viel Zuspruch. Aber es scheint doch, dass die Begeisterung bei den Schwarzen, die ihn erst gar nicht wollten, und bei den Grünen, die ihn schon vor Jahren wollten, besonders groß ist.
Was er in Zukunft will, das sagt Gauck noch nicht. „Ich werde auch nichts darüber sagen, was ich vorhabe und schon gar nicht, was ich für ein toller Typ bin. Das können Sie vergessen.“
Da hilft der Blick auf die Biografie. Gauck kommt 1940 in Rostock zur Welt. Sein Vater, ein Kapitän, verschwindet nach Kriegsende für Jahre in einem sowjetischen Lager in Sibirien.
Nach dem Studium der Theologie wirkt Pastor Gauck zunächst auf dem Land, baut dann in einem Rostocker Neubaugebiet eine Kirchengemeinde auf, die viele junge Leute anzieht.
Als sich 1989 Widerstand gegen die SED-Herrschaft formiert, führt er als Sprecher des Neuen Forums in Rostock Demonstrationen an. Auch im Westen bekannt wird er erst als Chef der Stasi-Unterlagenbehörde ab 1990.
Drei seiner Kinder verlassen die DDR vor 1989 Richtung Westen, dies hat Gauck nach eigenen Aussagen sehr geschmerzt. Der älteste Sohn Christian, heute Arzt in Hamburg, berichtet in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, wie wenig Vater Gauck präsent war in der Familie.
Er war selten zu Hause, und wenn er da war, war die Wohnung im Rostocker Plattenbau voll mit anderen Leuten. Ein herzliches Verhältnis zu seinen Kindern hatte Gauck damals nicht, allerdings habe er da manches Defizit aufgearbeitet, sagt der Sohn.
Die ARD überträgt die Wahl des Bundespräsidenten am Sonntag ab 11.30 Uhr