EU-Gericht setzt Stammzellforschung Grenzen
Luxemburg/Berlin (dpa) - Der Europäische Gerichtshof hat der Stammzellforschung in Europa enge Grenzen gesetzt. Nach einem Grundsatzurteil dürfen Verfahren, die menschliche embryonale Stammzellen nutzen, in der Regel nicht patentiert werden.
Damit wird auch die Vermarktung der daraus entwickelten Zellen gebremst. Der Bonner Prof. Oliver Brüstle hatte Nervenvorläuferzellen geschaffen, die einmal der Parkinson-Therapie dienen sollten. Er darf weiter daran forschen, seine Technik aber nicht patentieren lassen. Sie ist damit für viele Pharmafirmen uninteressant geworden, die solche Therapieverfahren auf den Markt bringen könnten.
Wenn für die Gewinnung von Zellen Embryonen zerstört würden, verstoße dies gegen den Schutz der Menschenwürde, entschieden die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am Dienstag in Luxemburg (Rechtssache: C-34/10). Auch bei befruchteten Eizellen handle es sich rechtlich um Embryonen und menschliches Leben.
Hintergrund der Klage war ein Patentstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Neurobiologen Brüstle. Dabei ging es um ein Patent auf die Entwicklung von Zellen, die der Forscher zur Behandlung neurologischer Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose einsetzen wollte. Für die Herstellung der Nervenvorläuferzellen hatte Brüstle embryonale Stammzellen genutzt.
Das Grundsatzurteil unterbindet mögliche Milliardengeschäfte mit Biomedizin. „Die Erteilung eines Patents für eine Erfindung schließt grundsätzlich deren industrielle und kommerzielle Verwendung ein“, schrieben die Richter in ihrer Begründung.
„Das Urteil ist ein ganz schlechtes Signal für die Wissenschaftler in Europa“, sagte Brüstle der Nachrichtenagentur dpa. „Wir wollen Nervenzellen gewinnen, die in der Behandlung von Erkrankungen eingesetzt werden können. Durch das Urteil wird eine solche Anwendung beeinträchtigt.“ Brüstle betonte: „Das Urteil kommt zu einem Zeitpunkt, wo klinische Studien auch in Europa in Gang sind, wie etwa in London zu Netzhauterkrankungen.“ Er warnte vor einer Abwanderung junger Forscher.
Dem stimmt auch Stammzellforscher Prof. Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster zu: „Das ist natürlich schade für die europäische Forschungslandschaft. Das, was hier entwickelt wird, kann ohne Schutz von Asien und den USA aufgenommen und verwertet werden.“
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hingegen begrüßte das Urteil. „Der EuGH stellt klar, dass wirtschaftliche Interessen nicht über menschlichem Leben stehen“, sagte Schavan der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf (Mittwoch). Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Ingrid Fischbach, sieht in dem Urteil ein Zeichen für die Wissenschaft, „bei kommenden Forschungsvorhaben den Schutz menschlichen Lebens stärker in den Fokus zu nehmen“. Auch aus anderen Bundestagsfraktionen kam Zustimmung. Die Entscheidung des EuGH sei ein großer Erfolg, hieß es bei den Grünen. Die SPD begrüßte das Urteil als „vernünftig“.
So sehen es auch die Kirchen. „Menschliches Leben darf nicht patentiert werden“, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider. Für die Deutsche Bischofskonferenz ist das Urteil „ein deutliches Signal gegen den Machbarkeitswahn des Menschen“.
Ebenfalls hinter den Richtern steht die Bundesärztekammer. „Embryonale Stammzellen sind Allgemeingut und dürfen niemals als Erzeugnis für den Heilungsprozess anderer genutzt werden“, sagte Präsident Frank Ulrich Montgomery. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), forderte gar im Berliner „Tagesspiegel“ (Mittwoch), Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen nun auszusetzen.
Der Europäische Gerichtshof verweist ausdrücklich auf eine Ausnahme seines generellen Patent-Verbots auf Verfahren mit embryonalen Stammzellen: Die gelte, wenn Stammzellen für eine Therapie oder Diagnose zum Nutzen des Embryos genutzt würden, aus dem sie stammen. Das könne zum Beispiel geschehen, um Missbildungen zu beheben oder um die Überlebenschancen des Embryos zu verbessern.
Embryonale Stammzellen sind noch nicht auf eine bestimmte Aufgabe festgelegt und können prinzipiell zu allen Zelltypen werden. Deshalb können sie bei der Behandlung von Krankheiten wertvoll sein. Ihre Nutzung ist aber äußerst umstritten, weil sie aus frühen Embryonen stammen, die bei ihrer Gewinnung zerstört werden.
Inzwischen haben Forscher aber Verfahren entwickelt, bei denen sie Körperzellen zurückprogrammieren. Diese sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) besitzen die wichtigsten Eigenschaften embryonaler Stammzellen, lassen sich aber aus normalen Körperzellen gewinnen. Ob solche iPS-Zellen ein vollwertiger Ersatz sein können, muss sich noch zeigen.
Greenpeace erwartet daher, dass das Urteil auf die Stammzellforschung nur begrenzten Einfluss haben wird: „Forscher haben in den vergangenen Jahren verschiedene Möglichkeiten gefunden, geeignete Stammzellen herzustellen, ohne menschliche Embryonen zu zerstören.“ Christoph Then von Greenpeace sagte, das Urteil schreibe „europäische Rechtsgeschichte“. Es habe den Schutz menschlichen Lebens gegenüber wirtschaftlichen Interessen deutlich gestärkt.
Im Mittelpunkt des Prozesses stand Forscher Brüstle. Er ist Inhaber eines 1997 angemeldeten Patents für Nerven-Vorläuferzellen. Diese werden zur Behandlung von Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose erprobt. Die Vorläuferzellen, aus denen sich dann Nervenzellen bilden, stellt Brüstle aus embryonalen Stammzellen her. Auf Klage von Greenpeace hatte das Bundespatentamt dieses Patent wegen ethischer Bedenken aufgehoben. In nächster Instanz war der Bundesgerichtshof mit der Frage befasst, der die Sache nach Luxemburg verwies.
Bei dem Rechtsstreit geht es auch um die Auslegung der europäischen Biopatentrichtlinie. Sie schützt den menschlichen Körper in den Phasen seiner Entstehung und Entwicklung. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs gilt dies nicht erst für das geborene Kind, sondern auch für Zellen, die sich zu einem Embryo entwickeln können.