Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth: „Ich will so bleiben, wie ich bin“

Interview: Die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth kritisiert die katholische Kirche und lobt, zumindest ein wenig, die SPD.

Düsseldorf. Frau Roth, Sie nennen den Augsburger Bischof Walter Mixa einen "durchgeknallten, spalterischen Oberfundi", ihr Parteifreund Volker Beck sieht im Kölner Kardinal Joachim Meisner einen "Hassprediger". Setzen sich die Grünen fortan mit der katholischen Kirche auseinander, indem sie deren Würdenträger beleidigen?

Roth: Wer mich kennt, der weiß: Ich habe manchmal ein etwas loses Mundwerk. Uns geht es darum, uns mit Positionen auseinanderzusetzen, für die Leute wie Mixa und Meisner stehen. Wer sich so polarisierend und aggressiv in die gesellschaftspolitische Debatte einbringt wie die beiden, darf sich über heftigen Gegenwind nicht wundern. Übrigens arbeite ich sehr eng mit vielen Christen zusammen, etwa in der Flüchtlings- oder Umweltpolitik. Da gibt es viele Bündnisse.

Der Sprecher von Mixa hat Ihnen "faschistoide Züge" bescheinigt.

Roth: Man hat mir schon viel in meinem Leben vorgeworfen, aber das sprengt die Grenzen. So eine Äußerung relativiert das Nazi-Unrecht auf unerträgliche Weise.

Das Wort "Hassprediger" wird im Zusammenhang mit Islamismus und Terrorismus benutzt.

Roth: Volker Beck hat den Begriff ja zurückgenommen. Richtig ist aber, dass Kardinal Meisner auf gefährliche Weise Stimmung gegen homosexuelle Menschen gemacht hat.

Ist es nicht so, dass Sie die katholische Kirche benutzen, um mehr Aufmerksamkeit für die Grünen zu erreichen? Sie gehen in der Opposition ziemlich unter.

Roth: Ach was, das haben wir überhaupt nicht nötig. Ich wünsche mir, dass die Würdenträger der katholischen Kirche integrativer wirken, statt Frauen oder Schwule zu diskriminieren.

Die SPD weicht die Agenda 2010 auf und beschließt ein Tempolimit. Sie wollen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan beenden. Nachdem SPD und Grüne also nach links gerückt sind, wird da eine Koalition mit der Linkspartei nicht immer wahrscheinlicher?

Roth: Die Parteitage von SPD und Grünen haben nicht zu einer größeren Kompatibilität mit Oskar Lafontaine geführt. Für den sind dunkle Wolken aufgezogen.

Dafür wirkt er aber sehr vergnügt. Er meint, die Linkspartei treibe SPD und Grüne an.

Roth: Ich lasse mich von Lafontaine nicht treiben, der auch gern mal mit rechtspopulistischen Sprüchen auf Stimmungsfang geht. Ich finde gut, dass die SPD wieder anfängt zu kämpfen und versucht, ihr Profil zu schärfen. Ob dann Beschlüsse wie das Tempolimit, die gefasst wurden, auch umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.

Aber Sie finden die SPD seit dem Wochenende sympathischer.

Roth: Mir war die SPD nie unsympathisch. In vielen Dingen ist uns die SPD deutlich näher als die Union. Aber Liebesbeziehungen, die finden hoffentlich - zumindest theoretisch - nicht in der Politik statt, sondern woanders.

Reden wir konkret über den Beschluss der SPD, das Arbeitslosengeld I für Ältere zu verlängern. Finden Sie das richtig?

Roth: Das hat für mich nicht die erste Priorität. Ich finde, der Regelsatz für das Arbeitslosengeld II muss dringend angehoben werden, und zwar um 20 Prozent.

Damit verschärfen Sie das Problem, dass der finanzielle Abstand zwischen jenen, die einen Job haben, und jenen, die Hartz IV beziehen, weiter sinkt. Bei Arbeitnehmern mit vielen Kindern lohnt sich Arbeit oft nicht mehr.

Roth: Wenn die Union endlich ein Einsehen beim Mindestlohn hat, kann das verhindert werden. Es kann doch nicht sein, dass Sie Hungerlöhne als Argument dafür nehmen, dass Menschen in Notlagen nicht genug zum Leben haben. Sie müssen auch mal die Inflation sehen. Wir waren immer dafür, dass die Regelsätze für Hartz IV immer wieder überprüft und angepasst werden. Das Geld reicht für viele Betroffene vorne und hinten nicht mehr. Ein weiterer Punkt ist das viel zu geringe Schonvermögen. Da werden jene bestraft, die vorgesorgt haben, weil ihnen Hartz IV fast alles wegfrisst.

Das sagt NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers auch.

Roth: Wie schön. Dabei war es doch seine CDU, die das Schonvermögen auf 250 Euro pro Lebensjahr begrenzt hat. Wir fordern 3000 Euro pro Lebensjahr.

Aber falsch finden Sie den Ansatz der SPD nicht, dass Leute, die länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, auch mehr Geld bekommen sollen?

Roth: Es ist die falsche Logik. Die Arbeitslosenversicherung ist eine Risikoversicherung. Außerdem ging es darum, Maßnahmen gegen die Frühverrentung zu treffen. Trotzdem: Dass die SPD über Verbesserungen der Agenda 2010 diskutiert, ist notwendig.

Unsere Zeitung hat vor einigen Wochen die Leser gefragt, wen sie für die nervigsten Deutschen halten. Dabei sind Sie leider auf Platz zwei gelandet, hinter Gülcan, aber noch vor Dieter Bohlen. Betrübt Sie das?

Herkunft Claudia Roth wurde am 15. Mai 1955 im schwäbischen Ulm geboren. Kurz darauf zog die Familie nach Bayern. Ihr Wahlkreis ist ausgerechnet Augsburg - die Wirkstätte von Bischof Mixa.

Politik Roth bildet mit Reinhard Bütikofer seit 2004 die Doppelspitze bei den Grünen. Ihr emotionsgeladener politischer Stil ("Heulsuse") wird häufig kritisiert.