Gutachten: Experten empfehlen für fast alle Güter die volle Mehrwertsteuer
Reduzierter Satz nur noch für Lebensmittel.
Berlin. Sie steht auf der Tagesordnung der Koalitionsrunde, die sich am Sonntag Abend im Kanzleramt treffen wird: die Reform der Mehrwertsteuer. Das Thema war zu einem Streitpunkt in der Berliner Koalition geworden, als auf Initiative vor allem von FDP und CSU die Koalition eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Übernachtungen von 19 auf sieben Prozent durchsetzte.
Diese Maßnahme, die das deutsche Beherbergungs-Gewerbe international konkurrenzfähig machen sollte, hatte eine innenpolitische Komponente: Die Oppositionsparteien griffen die Koalition heftig wegen der angeblichen Privilegierung an.
In die Debatte über die Struktur der Mehrwertsteuer kommt jetzt neuer Schwung. Finanzexperten der Uni Saarbrücken haben ein Gutachten über die Mehrwertsteuer-Struktur vorgelegt. Im Kern plädieren sie in ihrer 400-Seiten-Expertise für eine radikale Lichtung des Mehrwertsteuer-Dschungels.
Generell gilt zwar der Satz von 19 Prozent. Aber der Gesetzgeber hatte 1968 die Option eines ermäßigten Satzes von sieben Prozent vorgesehen, der vor allem für Güter gelten sollte, die auch für sozial schwache Schichten erschwinglich sein sollten. Dazu zählen Lebensmittel und viele Kulturgüter. Später wurden immer mehr Ausnahmetatbestände geschaffen: So zählen der Erwerb von Rennpferden, Trüffeln und Schnittblumen zu den Vergnügungen, die nur mit dem reduzierten Satz verbunden werden, während Babywindeln voll versteuert werden.
Die Experten wollen nun alle Leistungen voll versteuern - mit Ausnahme der Lebensmittel. Für die "allermeisten Umsatzsteuerermäßigungen gibt es keine tragfähige Begründung", heißt es in dem Gutachten. Sie unterstützen damit tendenziell eine Kritik des Bundesrechnungshofes.
Das Bundesfinanzministerium reagierte zurückhaltend und sagte, man werde das Gutachten in die Beratungen "einfließen lassen". In den Fraktionen der Regierungsparteien wird dagegen schon weiter gedacht: Wenn man der Empfehlung der Wissenschaftler folgt, bedeutet dies, dass die Mehrbelastung für die Bürger kompensiert werden muss. Und zwar "Eins zu Eins", wie der Finanzexperte der Unionsfraktion, Leo Dautzenburg, in Aussicht stellt. Integriert würde dieser Aspekt aber wahrscheinlich eher in die Arbeit an einer großen Steuerreform, die die Koalition 2013 umsetzen will.