Hans-Jochen Vogel: „Ich würde wohl wieder so handeln“

Interview: Der damalige Justizminister Hans-Jochen Vogel über die harte Haltung der Bundesregierung bei der Schleyer-Entführung.

Düsseldorf. Herr Vogel, Sie waren im Deutschen Herbst 1977 Justizminister. Während Ihr Bruder Bernhard mit der Familie Schleyer - er war mit dem Sohn befreundet - um den entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer bangte, mussten Sie die Entscheidung vertreten, dass die Bundesregierung den Erpressern nicht nachgeben werde, dass Schleyer nicht gegen RAF-Häftlinge ausgetauscht werden würde. Wie haben Sie nach Schleyers Ermordung mit der Entscheidung gelebt?

Vogel: Diese Entscheidung, zur Rettung des Lebens von Hanns Martin Schleyer andere Mittel - also etwa die intensive Suche nach seinem Verbleib und anschließend seine Befreiung, aber nicht das Mittel der Freigabe der herausverlangten Häftlinge - einzusetzen, entsprach damals dem Ergebnis auch meiner eigenen sorgfältigen Abwägung. Sie hat mich nach Schleyers Tod bis heute immer wieder beschäftigt, weil so eine Ursache für sein Ende gesetzt wurde. Dennoch würde ich wohl heute wieder so entscheiden.

Bei der Erstürmung der Lufthansa-Maschine Landshut in Mogadischu nahm die Regierung das hohe Risiko vieler unschuldiger Opfer auf sich . . .

Vogel: Es waren Tage und Stunden höchster Anspannung. Nach der Befreiung und Rettung aller Geiseln wich sie einem Gefühl tiefer Dankbarkeit gegenüber denen, die damals in Mogadischu handelten, aber auch dem Schicksal - ich sage dem Herrgott - gegenüber. Das dauert bis heute an.

Jahre später wurden immer wieder Zweifel laut, ob die Justiz mit den inhaftierten Terroristen einwandfrei umgegangen sei.

Vogel: Der Umgang entsprach der konkreten Situation und verstieß nicht gegen die maßgebenden rechtlichen Bestimmungen. Die Behauptung der "Isolationsfolter" war ein von der RAF erfundener Kampfbegriff.

Die Debatte um die Freilassung der letzten RAF-Gefangenen hat Deutschland in diesem Jahr sehr umgetrieben. Warum?

Vogel: Das ist nicht leicht, weil es Begnadigungen schon vorher gegeben hat. Offenbar spielten eine gewisse Neigung zur medialen Aufbauschung und auch politische Motive eine Rolle.

Ihr Bruder Bernhard Vogel hat als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident 1988 die erste Begnadigung für einen RAF-Terroristen, für Klaus Jünschke, ausgesprochen. Haben Sie beide im Vorfeld darüber gesprochen?

Vogel: Er hat mich von seiner Absicht unterrichtet. Seine Argumente haben mich überzeugt.

Brigitte Mohnhaupt, die an neun Morden beteiligt war, wehrt sich mit den Mitteln der Justiz dagegen, in den Medien als Mörderin bezeichnet zu werden. Wie empfinden Sie das?

Vogel: Das ist mir unbekannt. Da sie wegen mehrfachen Mordes verurteilt worden ist, muss sie diese Tatsache wohl auch heute noch gegen sich gelten lassen.

Dem Deutschen Herbst voran ging 1975 der Austausch des entführten Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz gegen fünf RAF-Anhänger. Helmut Schmidt, damals Kanzler, bewertete diese Entscheidung später als eindeutig falsch. Sie auch?

Vogel: Ich habe mich schon damals gegen die Freilassung der RAF-Häftlinge mit der Begründung ausgesprochen, dass diese weitere Gewalttaten begehen würden. Das haben sie ja dann auch mit der Folge getan, dass neuerdings Menschen starben.

Heute gilt der Satz "die Bundesregierung lässt sich nicht erpressen" nur bedingt, seit bekannt ist, dass für Geiseln im Irak wie Susanne Osthoff Lösegeld bezahlt worden ist.

Familie Geboren 1926. Verheiratet, drei Kinder. Jüngerer Bruder: Bernhard Vogel, Spitzenpolitiker der CDU.

Politik Ab 1970 im SPD-Vorstand, 1972 Bundesminister für Bauwesen, 1974 Justizminister (bis 1991), 1987 bis 1991 SPD-Vorsitzender.