Massive Kritik Agenda-2010-Reformen: CDU und Wirtschaft greifen Schulz an

Berlin (dpa) - Die Wirtschaft und der Koalitionspartner Union haben die Reformvorschläge von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz für den Arbeitsmarkt attackiert.

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„Wir haben die Arbeitslosigkeit seit 2005 halbiert. Was Kandidat Schulz fordert, gefährdet diesen Erfolg“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber dem „Handelsblatt“. Nötig sei dafür Flexibilität am Arbeitsmarkt, nicht eine längere Bezugszeit von Arbeitslosengeld. Schulz hatte angekündigt, Fehler bei der Agenda 2010 des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder (SPD) zu korrigieren. So will er den Bezug des Arbeitslosengelds I verlängern.

Der „Neuen Westfälischen“ sagte Schulz: „Die Agenda war in vielen Punkten ein Erfolg, in manchen nicht. Wir müssen Lösungen mit heutigen Antworten finden und nicht mit einer rückwärts gewandten Debatte.“

Deutschlands Arbeitgeber kritisierten den SPD-Hoffnungsträger Schulz massiv. „Viele Vorschläge sind ohne präzise Kenntnis der Zahlen oder der Rechtslage in Deutschland formuliert“, wiesen die Arbeitgeber Schulz' Forderung nach einem längeren Arbeitslosengeld I zurück. Die SPD wolle zurück in die 1990er Jahre: „Damit kann man die deutschen Arbeitsplätze nicht sichern“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, Steffen Kampeter, der „Nordwest-Zeitung“.

Kanzlerkandidat Schulz hatte bei den Zahlen zu befristeten Arbeitsverträgen daneben gelegen: Im Interview der „Bild“-Zeitung behauptete er, in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren hätten knapp 40 Prozent befristete Verträge. Tatsächlich waren es 2015 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 17,9 Prozent. Die Arbeitgeber sprachen von gut zwölf Prozent, bezogen sich aber auf eine andere Statistik des IAB-Instituts. Nimmt man alle Beschäftigten, hatten laut Bundesamt 8,4 Prozent einen befristeten Arbeitsvertrag - der EU-Schnitt war 11,3 Prozent.

Der scheidende SPD-Chef Sigmar Gabriel unterstützt die Reformvorschläge von Schulz bei der Agenda 2010. „Die damaligen Sozialreformen fanden statt, als wir uns der Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen näherten“, sagte Gabriel den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Dass es Sinn macht, darüber nachzudenken, welche der damaligen Reformen heute dazu führen, dass Menschen zu früh von Qualifizierung, Fortbildung und dem Arbeitsmarkt ferngehalten werden, scheint mir mehr als berechtigt zu sein.“

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die bald Reformkonzepte für die Hartz-IV-Gesetze vorlegen will, nahm Schulz gegen die Kritik aus der Wirtschaft in Schutz. „Das mag ja eine Sicht des Arbeitgebers sein, dass Befristungen ein kleineres Problem sind.“ Viele Betroffene würden wegen der Job-Unsicherheit aber keine Familie gründen oder kämen auch schlechter an Bankkredite. Rückendeckung bekam Schulz auch vom linken und rechten SPD-Flügel.

Warnungen vor einer Aufweichung der Agenda 2010 kamen von prominenten Wirtschaftsexperten. „Ein wesentlicher Bestandteil waren die Reformen der Agenda 2010, die den beeindruckenden Abbau der Arbeitslosigkeit und gleichzeitigen Aufbau der Beschäftigung seit 2005 mitgetragen haben“, sagte der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, der „Rheinischen Post“. Ifo-Institut-Präsident Clemens Fuest sagte der Zeitung: „Bei undifferenzierter Rückabwicklung der Agenda drohen Gefahren für den Arbeitsmarkt und für das Wirtschaftswachstum in Deutschland.“

Seit die SPD Ende Januar den früheren EU-Parlamentspräsidenten Schulz zum Kanzlerkandidaten nominierte, legte die Partei in den Umfragen kräftig zu. In einer Insa-Umfrage für die „Bild“-Zeitung hat nun aber wieder die Union knapp die Nase vorn. Die SPD erreicht in der Sonntagsfrage 30 Prozent (-1 zur Vorwoche), die Union 31,5 Prozent.