Wildbad Kreuth Dissens zwischen Merkel und CSU tritt in Kreuth offen zutage
Kreuth. Der Dissens zwischen Kanzlerin Angela Merkel und der CSU über die Flüchtlingspolitik ist auf der Winterklausur der CSU-Landtagsfraktion offen wie selten zuvor zutage getreten.
Merkel wies die Forderung nach einem schnellen Kurswechsel samt Festlegung einer nationalen Obergrenze in Kreuth erneut zurück. Die Abgeordneten überschütteten die CDU-Vorsitzende daraufhin mit Kritik.
„Worin wir uns einig sind, ist, dass wir die Zahl der ankommenden Flüchtlinge spürbar und nachhaltig reduzieren wollen“, sagte Merkel vor dem Gespräch mit der Fraktion. Sie betonte aber, hier sollte man bei den Fluchtursachen ansetzen und eine europäische Lösung finden. Deshalb verwies sie auf bevorstehende Beratungen auf europäischer und internationaler Ebene. „Danach können wir eine Zwischenbilanz ziehen, eine weitere Zwischenbilanz ziehen, und dann sehen, wo wir stehen.“
Vor den Abgeordneten betonte Merkel nach Teilnehmerangaben, sie könne nicht gleichzeitig international verhandeln und parallel dazu nationale Maßnahmen ergreifen. Über einen „Plan B“ spreche sie nicht.
CSU-Chef Horst Seehofer klagte anschließend: „Es gab keine Spur des Entgegenkommens. Wir gehen da politisch auf schwierige Wochen und Monate zu.“ Er schloss jedoch aus, dass die CSU die Koalition aufkündigen werde, „weil man innerhalb einer Regierung mehr bewirken kann als wenn man eine Regierung verlässt“. Die CSU wolle weiterhin „in die CDU hineinwirken“, sagte Seehofer in den ARD-„Tagesthemen“.
Merkel beschwor außergewöhnlich eindringlich die Einheit der Schwesterparteien. „Ich kenne Ihre Sorgen. Aber ich bitte Sie, darüber nachzudenken, dass Ihre Lösung auch nicht ohne Risiken ist“, sagte sie nach Teilnehmerangaben hinter verschlossenen Türen. Merkel warb bei der CSU darum, ihren Weg „wenigstens ein bisschen“ zu begleiten. Sie wurde mit den Worten zitiert: „Wenn es immer heißt „das wird nichts“, macht mir das die Verhandlungen nicht leichter.“ An die CSU-Abgeordneten gewandt sagte sie, sie würde sich freuen, „wenn Sie mir wenigstens Glück wünschen“. Sie werde ansonsten alles tun für einen guten Zusammenhalt zwischen CSU und CDU, betonte sie.
Die Landtags-CSU fordert eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen. Werden es mehr, sollen diese an der Grenze abgewiesen werden. Ebenfalls zurückgewiesen werden sollen Flüchtlinge, die aus sicheren Nachbarstaaten einreisen wollen. Das geht aus einem Zwölf-Punkte-Plan hervor, den die Fraktion in Kreuth beschlossen hat. Fraktionschef Thomas Kreuzer betonte, man habe nicht viel Zeit zum Handeln.
In der Sitzung warfen mehr als ein Dutzend Abgeordnete der Kanzlerin schwere Versäumnisse vor. Finanzminister Markus Söder sagte nach Teilnehmerangaben zu Merkel: „Die Lage ist aus dem Ruder gelaufen.“ Die Grenzen offen zu lassen, sei ein „schwerer Fehler“, betonte er.
Die Front war einhellig: Es habe sich keine unterstützende Stimme für Merkel erhoben, hieß es. Viele Abgeordnete hätten sachlich, aber eindringlich die Lage in ihren jeweiligen Stimmkreisen geschildert. Mehrere Parlamentarier forderten umfassende Grenzkontrollen - die derzeitige unkontrollierte Zuwanderung sei der „worst case“ für den Rechtsstaat. Innenminister Joachim Herrmann kritisierte laut Teilnehmern, die Grenzkontrollen hätten nicht einmal das Ausmaß wie während des G7-Gipfels in Garmisch-Partenkirchen im vergangenen Jahr.
Auch Landtagspräsidentin Barbara Stamm meldete sich kritisch zu Wort: Der übergroße Zustrom von Flüchtlinge behindere die Integration. Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich mahnte, man könne in einer Demokratie nicht auf Dauer gegen die Mehrheit der Bevölkerung regieren. Mehrere Abgeordnete berichteten von Menschen, die inzwischen sagten, sie könnten Merkel nun nicht mehr wählen.
In einem Brandbrief an Merkel fordern mehr als 30 CSU-Abgeordnete einen Kursschwenk in der Flüchtlingspolitik. „Mehr als 200.000 Zuwanderer pro Jahr - seien es Bürgerkriegsflüchtlinge oder Asylsuchende - kann Deutschland nicht verkraften“, heißt es in dem Schreiben, das Merkel in Kreuth persönlich übergeben wurde. dpa