Ex-NPD-Funktionär als Helfer des Neonazi-Trios verhaftet
Karlsruhe/Berlin (dpa) - Die Ermittler der Neonazi-Mordserie haben einen langjährigen NPD-Funktionär als mutmaßlichen Helfer des Zwickauer Terror-Trios gefasst. Spezialeinheiten der Polizei nahmen den 36-jährigen Ralf Wohlleben am frühen Dienstagmorgen in Jena fest.
Am Nachmittag erging Haftbefehl.
Die Bundesanwaltschaft wirft Wohlleben Beihilfe zu sechs Morden und einem versuchten Mord vor. Unter anderem soll er der Terrorgruppe Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe eine Schusswaffe und Munition besorgt haben.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will als Konsequenz aus den Fahndungs- und Ermittlungspannen eine umfassende Datei zu gewaltbereiten Rechtsextremisten einrichten. Die FDP sieht dies äußerst skeptisch. Bundespräsident Christian Wulff bekam am Dienstag wegen der Neonazi-Mordserie einen Anruf vom türkischen Präsidenten Abdullah Gül. Dabei versicherte Wulff, dass er die Leistungen der Mordopfer würdigen werde.
Der festgenommene Wohlleben ist nach Angaben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe dringend verdächtig, die Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) unterstützt zu haben. Er soll seit 1995 in rechtsextremistischen Kreisen in Thüringen aktiv gewesen sein. Seit den 90er Jahren soll er in engem Kontakt mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gestanden haben.
Dem Thüringer Verfassungsschutz ist Wohlleben seit langem bekannt. Er taucht in allen thüringischen Verfassungsschutzberichten von 2003 bis 2010 auf. Er trat 1999, kurz nach dem Untertauchen des Neonazi-Trios, in die NPD ein. Mit Unterbrechungen war er von 1999 bis Mitte 2008 Vorstandsmitglied - von Juli 2006 bis Mai 2008 sogar Vize-Vorsitzender in Thüringen. Bis etwa Anfang 2010 leitete Wohlleben außerdem mit Unterbrechungen den Kreisverband in Jena. Im September 2010 trat er laut NPD wegen „persönlicher Gründe“ aus der Partei aus.
Die Karlsruher Anklagebehörde wirft Wohlleben unter anderem vor, dem Neonazi-Trio spätestens 2002 eine Schusswaffe und Munition besorgt zu haben. Außerdem soll er den Dreien den Kontakt zum mutmaßlichen Helfer Holger G. vermittelt haben. Erst vor einer Woche war Wohllebens Wohnung durchsucht worden. Damals hatte er noch in einer Zeitung behauptet, das Trio nicht unterstützt und seit 1998 keinen Kontakt zu ihm mehr gehabt zu haben.
Wohlleben ist neben der Hauptverdächtigen Zschäpe und dem mutmaßlichen Helfer Holger G. aus dem Raum Hannover und dem in Brandenburg gefassten Andre E. der vierte mutmaßliche Neonazi, der im Zusammenhang mit einer Mordserie der Jahre 2000 bis 2006 festgenommen wurde. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt werden neun Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie der Mord an einer Polizistin vorgeworfen. Mundlos und Böhnhardt waren Anfang November nach einem Banküberfall in Thüringen tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden worden.
Friedrich will als Konsequenz aus dem Fall schnell einen Gesetzentwurf für eine neue Verbunddatei zu Rechtsextremisten vorlegen. Im Gespräch ist unter anderem, Bankverbindungen, Telefonverbindungen und Kontaktleute von gewaltbereiten Rechtsextremisten zentral zu erfassen. Das Bundesjustizministerium reagierte zurückhaltend. Es verwies darauf, dass zunächst eine genaue Analyse der Fehler erfolgen sollte.
Im Streit um eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung gibt es dagegen keine Bewegung. Friedrich schlug vor, Internet- und Telefonverbindungsdaten vier Monate lang zu speichern - zwei Monate weniger, als eine entsprechende EU-Richtlinie vorsieht. Ein Sprecher von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lehnte das ab. Er bekräftigte, die Ministerin halte daran fest, die Daten nur nach konkreten Anlässen und nicht massenhaft auf Vorrat zu speichern. Der Parlamentarische Geschäftsführer im Bundestag, Christian Ahrendt, warf dem Bundesinnenminister Aktionismus vor.
Der Bundestags-Innenausschuss und das parlamentarische Gremium zur Kontrolle der Nachrichtendienste kommen an diesem Mittwoch in Berlin jeweils zu weiteren Sitzungen zusammen, um über die Pannen von Justiz, Polizei und Verfassungsschützern im Zusammenhang mit der Zwickauer Neonazi-Zelle zu beraten. Die betroffenen Länder haben aber eine Teilnahme ihrer Landeskriminalämter abgesagt.