Geheime Gedankenspiele über die große Koalition

Die Kanzlerin schließt Schwarz-Rot nicht aus. Offiziell gilt das Thema aber als vermintes Gebiet.

Berlin. Die Kanzlerin und CDU-Chefin schließt eine große Koalition mit der SPD nach der Wahl am 22. September nicht aus. Mit ihrer Äußerungen sorgte sie am Wochenende für Unmut in der FDP. „Wer die Fortsetzung von Schwarz-Gelb will, muss FDP wählen“, sagte der Generalsekretär der Liberalen, Patrick Döring. Wie aber könnte Merkel anders angesichts schwankender Umfragen für Schwarz-Gelb? Eine aktuelle Emnid-Umfrage von Sonntag sieht eine knappe Mehrheit für Schwarz-Gelb im Gegensatz zum ZDF-Politbarometer von Ende vergangener Woche (siehe Grafik).

Auch Gedankenspiele von CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder über ein „100-Tage-Sofortprogramm“ nach der Bundestagswahl deuten darauf hin, dass der Unions-Frontmann eher eine große Koalition im Blick hat als die Fortsetzung von Schwarz-Gelb. Wie will Kauder sonst die „kalte Progression im Steuerrecht“ abmildern — ohne den gemeinsamen Segen im Bundesrat? Schon einmal ist Schwarz-Gelb daran gescheitert.

Spekulationen über ein solches Bündnis von Union und SPD sind den Wahlstrategen aller Parteien allerdings ein Graus. Neben der Demotivation der eigenen Mitglieder im Wahlkampf fürchtet man zudem bei der Union ein Abdriften von Wählergruppen zugunsten der FDP.

Für seine Person hat SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück das Thema große Koalition zwar gelöst. Er will ausschließlich als Kanzler einer künftigen Regierung angehören. Doch für seine Partei ist damit die leidige Frage noch lange nicht vom Tisch. SPD-Politiker aus der zweiten Reihe mahnen „dringend vor Ausschließeritis“. „Wir können unseren Wählern nicht sagen, wenn Rot-Grün nicht klappt, gehen wir auf jeden Fall in die Opposition“, sagt etwa der hessische SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth.

Anders als bei den Wahlstrategen stößt eine große Koalition in der Bevölkerung laut Umfragen auf einige Sympathie. Und auch Ökonomen sagen, dass Deutschland in der Wirtschaftskrise 2008 mit Union und SPD im internationalem Vergleich doch nicht schlecht gefahren sei. Einige sprechen rückblickend sogar von einem „Glücksfall“.

Auf eine neue Bundesregierung kommen riesige Aufgaben zu: Die Euro-Krise ist noch nicht ausgestanden. Vor dem Hintergrund der Schuldengrenze wird die Neuordnung des Länderfinanzausgleiches eine Herkules-aufgabe. Bei der Energiewende muss nachgebessert werden.

Egal, wie die Wahl ausgeht: Sicher ist, dass Rot und Grün über den Bundesrat in den kommenden beiden Jahren bei allen notwendigen Reformprojekten ein wichtiges Wort mitsprechen werden. Schaut man in den Terminkalender für die Landtagswahlen, so gilt diese Mehrheit zumindest bis in das Jahr 2016 hinein als relativ sicher.