Groko-Verhandlungen: Der Kompromiss beim Familiennachzug hilft nur wenigen

Die Groko-Verhandler einigen sich über das große Streitthema Familiennachzug — allerdings gibt es heftige Kritik von links.

Die SPD triumphiert, bei den Betroffenen hilft es vermutlich aber nur wenigen: Die Parteien der Groko-Verhandlungenhaben sich auf eine Regelung zum Familiennachzug von Flüchtlingen geeinigt.

Foto: Patrick Pleul

Berlin. Am Donnerstag, 9 Uhr, wären im Bundestag beinahe zwei Züge aufeinander zugefahren, die nach dem Willen ihrer Lokomotivführer demnächst gekoppelt werden sollen: Union und SPD. Denn in Sachen Familiennachzug hatte die Union im Alleingang beantragt, diesen über den 16. März hinaus weiter auszusetzen — auf unbestimmte Zeit. Die AfD hatte noch Dienstagfrüh angekündigt, mit den Christdemokraten stimmen zu wollen; die SPD wollte dagegen halten. Doch in letzter Minute einigten sich die künftigen Koalitionäre auf einen Kompromiss, den sie nun gemeinsam einbringen. Er ist ziemlich kleinteilig.

Es geht um syrische Flüchtlinge, die lediglich einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus haben, die sogenannten „subsidiär Schutzbedürftigen“. Das sind ungefähr 100 000 Menschen. Bei ihnen wird davon ausgegangen, dass sie in nicht allzu ferner Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Für diese Gruppe hatte die alte Regierung aus Union und SPD ohne größere Debatten 2016 den Familiennachzug ausgesetzt — bis längstens 16. März 2018. Das wollte die Union nun verlängern. Alle anderen Flüchtlinge dürfen ihre engeren Familienangehörigen nachholen.

Inzwischen hat die SPD allerdings einen Positionswandel vollzogen. Sie verlangte in den Sondierungen 2000 Nachzüge pro Monat für die „Subsidiären“ zuzulassen, die Union, allen voran die CSU, bot null. Man einigte sich in der Mitte, 1000 pro Monat. Bis 31. Juli solle es eine entsprechende Neuregelung geben, so das Sondierungspapier. Dann entdeckte die SPD-Basis in Groko-kritischen Landesverbänden wie Nordrhein-Westfalen, dass das zu wenig sei und forderte, dass mindestens die schon bestehende Regelung für besondere Härtefälle „ausgeweitet“ werden müsse. So beschloss es der Parteitag in Bonn vorletzten Sonntag als Bedingung für Nachverhandlungen.

Gern, lautete die Reaktion der CSU - jedoch nur innerhalb des Kontingents von 1000. Nein, obendrauf, lautete der Standpunkt der SPD. In dieser Frage setzten sich am Ende die Sozialdemokraten durch. Die Härtefallregelung kommt nun zusätzlich, es werden „1000 plus“, wie SPD-Innenpolitikerin Eva Högl triumphierte.

Allerdings bleibt die Härtefallregelung selbst unverändert, wird also nicht ausgeweitet. Ihre bisherigen Wirkungen waren marginal. 66 Härtefall-Visa wurden im letzten Jahr erteilt. Bei einem Treffen des linken Flügels der SPD-Fraktion wurde der angebliche Erfolg am Dienstag mit großer Skepsis, teils sogar Empörung aufgenommen. „Das macht 1006 statt 1000 pro Monat, das ist kein Erfolg“, sagte die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe wegwerfend, und die Sächsin Daniela Kolbe erklärte: „Das wird die Groko-Kritiker nicht überzeugen können.“

Bei denen dürfte auch der Satz von Unions-Fraktionschef Volker Kauder nicht gut ankommen. Mit diesem Kompromiss habe sich das Regelwerk von CDU und CSU „durchgesetzt“, meinte er. Kauder: „Damit ist klar: Es findet kein weiterer Zuzug nach Deutschland statt.“

Aus der Opposition gab es massive Kritik. „Die weitere Aussetzung des Familiennachzuges ist weder christlich noch sozial“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion, Sevin Dagdelen. „Familiennachzug bleibt die Ausnahme und gleicht einem Lottospiel zulasten Tausender Frauen und Kinder.“ Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach gar von einem Skandal. Eigentlich sei jeder Fall ein Härtefall. „Was die Koalition hier machen will, ist ein Gnadenrecht einzuführen, statt das Völkerrecht einzuhalten.“ Allerdings: In den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition zwischen Union, FDP und Grünen hatte man auch schon kurz vor einem Kompromiss über einen eingeschränkten Familiennachzug gestanden. Mit Härtefallklausel.