Bundestagsdebatte Jetzt verlagert sich der Streit um die Flüchtlinge auf das Thema Türkei
Die CSU stellt vor dem EU-Gipfel Bedingungen - Merkel spricht von einmaliger Chance zur Lösung des Flüchtlingsproblems.
Berlin. Von Angela Merkel wird allseits verlangt, dass sie in der Flüchtlingsfrage endlich etwas Entscheidendes erreicht. Erst recht seit den Landtagswahlen vom Sonntag. Die Kanzlerin setzt dazu ganz auf ein Abkommen zwischen der EU und der Türkei. Doch einen Tag vor den dafür entscheidenden Verhandlungen in Brüssel zeigte sich am Mittwoch, dass ihr sehr viele diesen Weg verbauen wollen. Unter anderem die Schwesterpartei CSU.
Ankara hatte letzte Woche geradezu sensationell angeboten, alle Flüchtlinge an der Passage durch die Ägäis zu hindern und jene, die es trotzdem nach Griechenland schaffen, zurück zu nehmen. Bedingungen: Europa solle syrische Kriegsflüchtlinge in begrenzter Zahl dann direkt aus der Türkei abholen. Das wäre genau Merkels Modell. Aber Ankara verlangte für seine Hilfe nicht nur insgesamt sechs Milliarden Euro bis 2018, sondern stellte auch politische Forderungen - die nun auf Widerstand stoßen.
Zum türkischen Begehren, die Beitrittsverhandlungen mit der EU zu beschleunigen, erklärte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt in der Fraktionssitzung der Union am Dienstag in Anwesenheit Merkels, dass ein Beitritt der Türkei für ihre Partei nicht in Frage komme.
Am Mittwoch im Bundestag wiederholte sie das öffentlich. Morgen in Brüssel wird wohl auch Zypern dazu Nein sagen, denn der Inselstaat ist im Norden von türkischen Truppen besetzt und hat bereits ein Veto gegen die Öffnung weiterer Verhandlungskapitel angekündigt. Ankara fordert davon gleich fünf. Auch Frankreich hat Bedenken. Ähnlich kompliziert ist es mit der Visafreiheit.
Premier Devutoglu hatte letzte Woche nach dem ersten Gipfel schon triumphiert, im Juni würde alle Türken visafrei nach Europa reisen können. Es geht um Visafreiheit bei Besuchsreisen (wie sie andersherum auch die Europäer in der Türkei genießen), nicht um Arbeitsaufnahme oder Niederlassungsfreiheit. Für Ankara ist das Thema außerordentlich wichtig, um die eigene Bevölkerung zu gewinnen. Doch auch hier sagt die CSU Nein. Allenfalls für Geschäftsleute könne man sich das vorstellen, betonte Hasselfeldt.
Weitere Bedingung der Christsozialen: Deutschland dürfe am Ende nicht das einzige Land sein, das Kontingentflüchtlinge direkt aus der Türkei abnehme. Feste Zusagen anderer Staaten aber hat die Kanzlerin derzeit noch nicht; die Osteuropäer verweigern sich sogar komplett. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer verlangte zudem, Merkel müsse in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit gegenüber Ankara eine "klare Position" einnehmen.
In diese Kerbe hieben am Mittwoch im Bundestag auch Grüne und Linke. "Es droht ein schmutziger Deal", schimpfte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, und sein Linken-Kollege Dietmar Bartsch sagte: "Mit so einem Partner kann es keine Lösung für Europa geben". Das alles wirkt, als wolle man Merkel vor dem Gipfel regelrecht mit Bedingungen einmauern. Die Kanzlerin suche am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung die Lücken. Um einen EU-Beitritt der Türkei gehe es noch gar nicht, sondern um "ergebnisoffene Verhandlungen", betonte sie. Egal wie viele neue Verhandlungskapitel man eröffnete.
Bei der Visa-Freiheit kam die Kanzlerin der CSU aber nicht entgegen. Sie verwies darauf, dass sie zwischen der EU und der Türkei im Prinzip schon im November verabredet worden sei - allerdings für kommenden Herbst. Damals, hieß es am Rande dazu aus dem Kanzleramt süffisant, habe niemand protestiert, auch nicht aus München. Jetzt gehe es nur darum, die Einführung um drei Monate auf Anfang Juli vorzuziehen, weil die Türkei auch eher mit der Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland beginnen wolle.
Allerdings, an den Bedingungen für die Visafreiheit ändere sich nichts, da sei noch viel zu regeln, sagte Merkel. Unter anderem geht es um die Bekämpfung organisierter Kriminalität und den Umgang mit Daten der Sicherheitsorgane.
Grundsätzlich betonte Merkel, wie wichtig die Zusammenarbeit mit der Türkei sei. Zum ersten Mal gebe es beim Gipfel "eine echte Chance auf eine dauerhafte und gesamteuropäische Lösung in der Flüchtlingsfrage". Mittwochabend wollte sich die Kanzlerin mit ihrem Widersacher Horst Seehofer im Kanzleramt treffen, um über die Probleme zu reden. Sozusagen ein interner Gipfel vor dem Gipfel.