#cdupt15 'Karlsruher Erklärung": CDU feiert Merkel für Flüchtlings-Kompromiss
Analyse: Diesen CDU-Bundesparteitag hat Angela Merkel bereits für sich entschieden, bevor ein einziger Delegierter die Messehalle in Karlsruhe betritt. Ihre Kritiker überbieten sich in Erklärungen, warum der Kompromiss prima ist.
Karlsruhe. Wahrscheinlich ist Sigmar Gabriel manchmal neidisch auf Angela Merkel. Denn im Gegensatz zu ihm verfügt die CDU-Vorsitzende über die Gabe, Parteitage zu erledigen, bevor sie überhaupt begonnen haben. Er war bereits durch, als Wolfgang Schäuble am Samstag erklärte, er unterstütze die Flüchtlingspolitik der Regierungschefin. Davon abgesehen, dass das normal ist, wenn man ihrer Regierung angehört, war es das letzte noch fehlende Signal an alle Möchtegern-Rebellen, ihr Revolutiönchen gegen die Flüchtlingspolitik wieder abzublasen, und zwar zack.
Am Sonntag machte Angela Merkel mit einem strammen Durchmarsch in Karlsruhe den Sack dann endgültig zu: 14 Uhr Hallenrundgang (einziger Zweck: „Kamerafutter“ für die TV-Sender), 15 Uhr Sitzung des Präsidiums im Karlsruher Novotel, 16 Uhr Sitzung des Bundesvorstands, am frühen Abend Pressekonferenz von Generalsekretär Peter Tauber in der Karlsruher Stadthalle zur Verbreitung des Kompromiss-Entwurfs, dann TV-Interviews der Kanzlerin mit ARD und ZDF — zur Tagesschau um 20 Uhr war bereits alles erledigt.
Auf dem Parteitag dann ist Kritik an der Kanzlerin kaum noch wahrnehmbar. Die Delegierten begrüßen sie mit fast euphorischem Applaus, und am Ende ihrer Rede gibt es kein Halten mehr. Mehr als acht Minuten applaudiert der Parteitag im Stehen. Immer wieder geht Angela Merkel nach vorne an die Bühne; irgendwann reicht es ihr dann: „Danke, danke, danke, aber wir haben noch zu arbeiten.“ Wäre sie nicht gerade erst 2014 in Köln als Bundesvorsitzende bestätigt worden, würde sie in Karlsruhe das Ergebnis von 96,72 Prozent der Stimmen noch einmal toppen.
Ihre Parteitagsrede, die zugleich für den Antrag mit dem monströsen Titel „Karlsruher Erklärung zu Terror und Sicherheit, Flucht und Integration“ wirbt, der Flüchtlinge und Terror in einer Art und Weise vermischt, die noch vor wenigen Wochen als widerwärtig und inakzeptabel galt, ist rhetorisch geschickt gebaut. Merkel beginnt mit einem Rückblick auf die Krisen und Katastrophen des Jahres 2015, bis sie zum 31. August und ihrer berühmten „Wir schaffen das“-Pressekonferenz kommt. Da hätten sich viele gefragt, wie sie das sagen könne. „Ich kann das sagen“, erklärt Merkel, „weil es zur Identität unseres Landes gehört, Größtes zu leisten“.
Zur Entscheidung in der Nacht vom 4. auf den 5. September, die Grenzen für die Flüchtlinge aus Ungarn zu öffnen, sagt sie einen Satz, der bleiben wird: „Das war nicht mehr und nicht weniger als ein humanitärer Imperativ.“ Und dann holt Merkel die Partei dort ab, wo die CDU immer zu holen ist: Bei Zuversicht, verbalem Ärmelaufkrempeln, einem etwas pathetischen Blick in die Zukunft durch Anrufung der Vergangenheit.
Adenauer, so Merkel, habe 1952 nicht gesagt „Wir wählen ein bisschen Freiheit“, sondern die Freiheit. Erhard habe nicht „Wohlstand für fast alle“, sondern für alle gefordert. Und Helmut Kohl 1990 nicht einige blühende Landschaften versprochen.
Falls sie ihn nicht immer schon hatte, so hat Angela Merkel in diesem Jahr für sich eine Strategie des langen Atems entwickelt, der die Gegenwart häufig aus einer historischen Perspektive betrachtet. Als sie im Februar den Amerikanern eine Absage an eine Verschärfung der Ukraine-Krise durch Waffenlieferungen erteilte, tat sie das mit Hinweis auf ihre eigene Biografie: Auch die Mauer sei nicht militärisch zu beseitigen gewesen, sie habe 37 Jahre darauf warten müssen. Und zur schwierigen europäischen Lösung der Flüchtlingskrise mahnt sie nun: „Wie würde man in zehn Jahren über uns reden, wenn wir nach nur vier Monaten die Flinte ins Korn geworfen hätten?“
Und dann wendet Merkel einen Kunstgriff an: Statt einen Forderungskatalog nach Leitkultur-Bekenntnissen an Flüchtlinge und Migranten zu formulieren, skizziert sie ihrer Partei das Deutschland, das sie sich für die Zukunft wünscht. Dass in diesem Zukunfts-Deutschland die Scharia nicht gilt, Frauen gleichberechtigt und keine Form des Zusammenlebens diskriminiert wird. Und ganz zum Schluss ihrer 70-minütigen Rede sagt sie noch einmal: „Wir schaffen das, für Deutschland uns Europa. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.“
Als die wenigen hartleibigen Kritiker, die sich auf dem Parteitag noch offen äußern, ans Rednerpult treten, haben sich die Reihen längst geleert. Dem sächsischen Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz, der am Sonntag im Parteivorstand als einziger gegen die „Karlsruher Erklärung“ gestimmt hat, hört kaum einer zu. Es ist Zeit zum Mittagessen.
Vier Stunden dauert das Kommen und Gehen in der Halle. Nach einer langen Debatte, in der die Mehrheit der Redner rhetorische Turnübungen aufführt, um Erklärungen für ihre Zustimmung zu konstruieren, und weit weniger bei ihrer Ablehnung bleiben, ist es Zeit zum Abstimmen.
Nicht einmal ein Dutzend (das Präsidium zählt gar nur zwei) Gegenstimmen und noch weniger Enthaltungen gibt es am Ende unter den 976 anwesenden Delegierten. Großer Jubel, die Kuh ist vom Eis, Angela Merkel als Vorsitzende und Kanzlerin gestärkt.
War da noch wer? Richtig! Horst Seehofer! Der schon im Vorfeld angekündigt hat, bei der Schwesterpartei randalieren zu wollen. Kann er machen. Am Dienstag irgendwann, wenn so richtig keiner mehr Lust hat und alle auf das Schlusswort von Angela Merkel warten. Es ist ja dann auch schon bald wieder Mittag.