Medizin Kinderärzte in NRW: Einen Nachfolger zu finden wird immer schwieriger
Die Kinderärzte an Rhein und Wupper beklagen Überforderung. Und Patienten lange Wartezeiten. In den nächsten Jahren werden 25 Prozent der Kinderärzte in den Ruhestand gehen. Es gibt immer weniger Nachwuchs.
Düsseldorf. Über einen Monat auf einen Termin warten, mindestens eine halbe Stunde im überfüllten Wartezimmer sitzen, bis man aufgerufen wird: Alexandra Schäfer kennt das Problem der überlasteten Kinderärzte aus erster Hand. Die Düsseldorferin möchte mit ihrer fünfjährigen Tochter die Praxis trotzdem nicht wechseln, denn der Arzt nimmt sich, so sagt sie, immer genügend Zeit. Dabei arbeiten viele Kinderärzte nicht nur in Düsseldorf über ihre Belastbarkeitsgrenze hinaus. Einer der Gründe: Der Beratungsaufwand ist größer geworden. Hinzu kommt, dass Eltern oft verunsichert sind und daher schneller einen Arzt aufsuchen.
Auch wenn die Lage in den Praxen immer schlimmer wird: Rein formal ist der Bedarf gedeckt, der Versorgungsgrad liegt in den NRW-Städten sogar deutlich über 100 Prozent. Zumindest dann, wenn man die Vorgaben des Gesetzgebers und die Richtlinien zugrunde legt, die 1993 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt worden sind. Diese regeln unter anderem das Zahlenverhältnis zwischen niedergelassenen Vertragsärzten und gesetzlich versicherten Patienten. Die Zulassung von Ärzten erfolgt für Versorgungsbezirke, die jeweils von kreisfreien Städten oder Landkreisen gebildet werden. Da nicht stadtteilbezogen geplant wird, kann sich laut Christoper Schneider, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), die Ärztedichte innerhalb eines Planungsbereichs unterscheiden.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) kritisiert die veraltete Berechnungsgrundlage. „Vor allem in den großen Städten steigen die Geburtenraten stark. Die Zahl der Kinder- und Jugendärzte hat damit nicht Schritt gehalten“, sagt Dr. Thomas Fischbach, BVKJ-Präsident. „Ein Fehler der starren Bedarfsplanung, bei der entscheidende Entwicklungen übersehen wurden, etwa die zunehmende Zahl der Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen.“ Außerdem spezialisierten sich immer mehr Kinderärzte auf Fachgebiete wie Allergologie. „Solche Praxen fallen dann für die normale medizinische Grundversorgung aus“, sagt der BVKJ-Vorsitzende.
Wie schlimm die Lage in NRW tatsächlich ist, kann BVKJ-Nordrhein-Sprecher Edwin Ackermann nur schwer sagen. „Es gibt starke regionale Unterschiede. In sozialen Brennpunkten ist die Versorgung besonders schlecht, da sich dort weniger Ärzte ansiedeln möchten“, sagt Ackermann, der eine Gemeinschaftspraxis in Tönisvorst hat. Er weist auch auf ein weiteres Problem hin, den Nachwuchsmangel: 80 Prozent derjenigen, die die Facharztprüfung Kindermedizin machen, sind Frauen. Diese hätten heutzutage jedoch weniger Lust, eine eigene Praxis zu führen. Sie wollten keine 60-Stunden-Woche, sondern mehr Zeit für ihre Familie. Der Mangel werde sich zudem dadurch verschärfen, dass Kinderärzte im Vergleich zu anderen Fachmedizinern weniger verdienen.
Der G-BA überarbeitet derzeit die Bedarfsplanung auf Bundesebene. Dabei sollen die demografische Entwicklung, die Krankheitshäufigkeit und die Sozialstruktur einer Region berücksichtigt werden. Laut G-BA könnte die Anpassung der Bedarfsplanung 2019 in Kraft treten.
Über die künftige regionale Entwicklung der kinderärztlichen Versorgung will KVNO-Pressesprecher Christopher Schneider keine Prognose abgeben, da es keine Altersgrenze für Kinderärzte gebe. Der BVKJ geht davon aus, dass in den nächsten fünf Jahren etwa 25 Prozent der Kinder- und Jugendärzte in den Ruhestand gehen werden.