Schwierige Regierungsbildung „KoKo“ statt „GroKo“? SPD-Idee stößt auf Unions-Widerstand
Berlin (dpa) - Die SPD prüft wegen des Widerstands gegen eine große Koalition eine in Deutschland neue Form der Regierungszusammenarbeit - und stößt damit auf Widerstand bei der Union.
SPD-Chef Martin Schulz erläuterte in der Fraktionssitzung vor dem ersten Spitzengespräch mit der Union als Option ein von der SPD-Linken favorisiertes Modell, bei dem nur bestimmte Kernprojekte im Koalitionsvertrag verankert werden. Andere bleiben offen, sie würden später im Bundestag ausverhandelt.
Das würde mehr Raum geben zur Profilierung - und für wechselnde Mehrheiten. Die CDU-Spitze kritisierte so eine Koalition mit nur teilweiser fester Zusammenarbeit als zu unsicher für das Land. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte, der Vorschlag erinnere ihn an eine „Krabbelgruppe“. Er halte davon gar nichts. „Man kann nicht zum Teil regieren und zum anderen Teil opponieren. Das geht nicht.“
Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen beraten die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer, SPD-Chef Schulz und die Fraktionschefs der Parteien am Mittwoch erstmals über eine erneute Zusammenarbeit - nachdem Schulz zunächst mehrfach eine erneute große Koalition ausgeschlossen hatte. Ein Sprecher betonte, die Kooperations-Variante statt einer festen Koalition sei einer von mehreren denkbaren Wegen.
Wenn bestimmte Themen im Koalitionsvertrag offen bleiben, könnte die SPD - so das Kalkül - beim Ringen um Projekte deutlicher machen, wer wofür steht und was auf wessen Betreiben durchgesetzt wird, auch mit anderen Mehrheiten. Als ein Beispiel gilt die gegen die Union durchgesetzte Ehe für alle. Die Idee einer Kooperations-Koalition („KoKo“) stammt von der Parteilinken - sie eine Antwort auf den starken Widerstand in der SPD gegen eine erneute große Koalition, eine Art „dritter Weg“ zwischen Neuwahl und fester Koalition.
Der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir waren zuletzt sehr, sehr stark an die Bundesregierung gebunden.“ In Teilen der SPD wird der Koalitionsvertrag mit der Union von 2013 heute kritisch gesehen.
Auf 185 Seiten wurde alles bis ins letzte Detail verhandelt und dann vier Jahre lang in Gesetze gegossen - am Ende war vielen Bürgern nicht klar, wer zum Beispiel für die Durchsetzung des Mindestlohns verantwortlich war. Die SPD sieht das als einen Mitgrund ihrer Misere und fürchtet, wieder als Verlierer aus einer „GroKo“ heraus zu gehen - nach der letzten Koalition landete die SPD bei der Bundestagswahl im September bei 20,5 Prozent - das schlechteste Ergebnis seit 1949.
CDU-Vize Julia Klöckner sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, sie halte nichts von Halbabsprachen. „Wir können nicht die Hand reichen für ein bisschen Absprache, für ein bisschen Tolerierung, für ganz großes Rosinenpicken der SPD, die sich nicht richtig traut“, so Klöckner. „Entweder man will regieren oder man will nicht.“
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Wir können ja nicht die Therapiegruppe für die SPD abgeben.“ Deutschland brauche eine stabile Regierung. „Wechselnde Mehrheiten kann man zwar theoretisch für spannend halten. In der Praxis aber würde das sehr schnell an die Grenzen einer gedeihlichen Zusammenarbeit führen“. Der bayerische CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer sagte, die SPD müsse „ihr Herumeiern einstellen. Entweder ist man Teil der Regierung, oder nicht. Und darüber verhandeln wir.“
Der SPD-Politiker Miersch betonte, die SPD sei mit so einem Modell viel freier, es werde nicht wie bisher „penibel aufgeschrieben, was wir in allen Fachbereichen machen“. CDU, CSU und SPD seien nur noch als ein einziger monolithischer Block wahrgenommen worden und die SPD habe Anträge von Linken und Grünen aus Koalitionsräson ablehnen müssen, „obwohl sie in unserem eigenen Wahlprogramm standen“.
Miersch erläuterte: „Wir haben dann die Freiheiten auch jenseits einer solchen Zusammenarbeit wirklich mit anderen Fraktionen zu stimmen.“ Es gehe um fünf bis zehn Kernprojekte, die man gemeinsam verabredet und durchsetzt, darunter sicher der Bundeshaushalt. „Ich würde es eine Kooperation nennen, das ist viel freier als eine Koalition.“ Ein Abgeordneter meinte zum Stimmungsbild: „Das wäre eventuell eine Brücke, über die viele in der SPD gehen könnten.“
Teile in der SPD fürchten bei einer erneuten großen Koalition einen weiteren Profilverlust und eine Verschärfung der tiefen Krise, in der sich die Partei befindet. Beim Bundesparteitag hatten die Delegierten für ergebnisoffene Gespräche gestimmt. Eine in Teilen der SPD favorisierte Minderheitsregierung wird von Merkel abgelehnt. Sie müsste dann für jedes Projekt Mehrheiten im Bundestag suchen. Ähnlich unsicher könnte aber auch das Kooperationsmodell sein, hieß es.
Die Operation „GroKo“ gilt als weit schwieriger als noch 2013 - bei einem Scheitern steht Deutschland vor Neuwahlen, mit einer Regierung wird nicht vor März gerechnet. Der Verein „Mehr Demokratie“ unterstützte den Vorstoß einer Kooperations-Koalition. „Eine offenere Zusammenarbeit der Parteien stärkt die Parlamente, weil wieder echte Debatten geführt werden“, sagte Vorstandssprecherin Claudine Nierth. Das könnte eine Art wäre „Frischzellenkur für die Demokratie“ sein.