Merkel provoziert die Grünen
Plötzlich gibt es in Berlin nur noch Atomkraftgegner. Im Bundestag kommt es zu einer denkwürdigen Debatte.
Berlin. Der wohl schärfste Angriff trifft die Kanzlerin erst nach zwei Stunden. Als siebter Redner nach der Regierungserklärung von Angela Merkel kontert SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gestern im Bundestag: „Das werden die Menschen nicht vergessen.“
Er ist überzeugt, dass sich die Bürger in Deutschland genau daran erinnern, wer wann gegen die Atomkraft war und erst recht daran, dass die schwarz-gelbe Regierung den Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg nur wenige Monate zuvor beschlossen hatte.
Bei allem Entsetzen über die Atomkatastrophe in Japan hatte Merkel in ihrer Rede die Sozialdemokraten und Grünen aufs Äußerste provoziert. Die von der Regierung beschlossene — rechtlich umstrittene — vorläufige Abschaltung der ältesten Atommeiler sei mehr als SPD und Grüne je erreicht hätten.
Denn mit dem einstigen rot-grünen Konzept wäre jetzt nur das alte AKW Neckarwestheim I in Baden-Württemberg vom Netz. „Alle anderen würden weiterlaufen.“ Sie aber lasse insgesamt acht Meiler stillstehen, lobt sich Merkel.
Ob dies in drei Monaten, wenn wichtige Landtagswahlen vorbei sind, jedoch immer noch der Fall ist, und ob nicht deren Reststrommengen auf die neueren AKW übertragen und damit die Atomlaufzeiten nicht bis 2035, sondern bis 2050 reichen werden, bleibt offen. Merkel kündigt einen „Atomausstieg mit Augenmaß“ an.
Wie Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), der Merkel trotz Unmuts über die Hauruck-Aktion unterstützt, hält die Kanzlerin den Grünen aber vor, den Ausbau der erneuerbaren Energien wegen problematischer Begleiterscheinungen wie den Bau von Stromtrassen zu bremsen.
Und: „Wir packen, was Rot-Grün in unverantwortlicher Weise hat liegenlassen, entschlossen an.“ Da schreit Grünen-Chefin Claudia Roth: „Jetzt reicht’s.“
SPD-Chef Sigmar Gabriel rechnet vor, dass Schwarz-Gelb die Förderung der erneuerbaren Energien um viele hundert Millionen Euro gekürzt hat. Er berichtet, Merkel habe ihn in seiner Zeit als Umweltminister in der großen Koalition aufgefordert, die Laufzeit für Neckarwestheim I zu verlängern.
„Ich habe Ihnen vorgeschlagen, die ältesten Atomkraftwerke schnell vom Netz zu nehmen. Sie haben das als Kanzlerin verweigert.“ Vor einem halben Jahr hätten Union und FDP den rot-grünen Atomausstieg als unvertretbar schnell gegeißelt. „Heute haben Sie die Chuzpe zu sagen, wir waren zu langsam.“
Frank-Waler Steinmeier meint, Merkel habe im Herbst alle Bedenken ignoriert und die Laufzeiten verlängert. Nun sorge sie sich um die Sicherheit der Menschen. „Das ist nicht glaubwürdig.“ Es werde so kommen wie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA. „Auch dieses Mal wird die Welt nicht mehr dieselbe sein.“