„Muttis Klügster“ Norbert Röttgen will CDU-Chef werden

Berlin · Es gab eine Zeit, da galt „Muttis Klügster“ als der Mann der Zukunft in der CDU, dann folgte 2012 ein Debakel in NRW. Jetzt will der Außenpolitiker zurück in die erste Reihe – und direkt nach ganz oben.

 Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, zu Beginn der Pressekonferenz zur Verkündung seiner Kandidatur um den CDU-Vorsitz.

Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, zu Beginn der Pressekonferenz zur Verkündung seiner Kandidatur um den CDU-Vorsitz.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Zurück im Blitzlichtgewitter. Bis Dienstagmorgen neun Uhr war Norbert Röttgen „nur“ ein respektabler Außenpolitiker, gern gesehen in Talkshows und auf internationalen Konferenzen, aber selten noch umringt von vielen Fotografen und Kameraleuten. Eine Mail an die amtierende Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat das schlagartig geändert. Jetzt wird alles noch komplizierter bei der CDU. Zumal es offenbar immer mehr werden, die den Chefsessel im Konrad-Adenauer-Haus wollen.

Norbert Röttgen bewirbt sich um den Parteivorsitz. Das teilte er AKK erst schriftlich, dann in einem kurzen Telefongespräch mit. Gegen Mittag folgte sein Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Und die große mediale Resonanz genoss der 54-Jährige sichtlich: Kopf nach oben, selbstbewusste Körperhaltung, ein freundliches Lächeln in jede Linse. Fast wie früher, als Röttgen noch ein Mann der ersten Reihe in der Union gewesen ist.

Bundesumweltminister, CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen, sogar als potenzieller Nachfolger Angela Merkels wurde er gehandelt – „Muttis Klügster“ und „Muttis Bester“ nannte man ihn. Bis Röttgen das alles 2012 vermasselte. Damals widersetzte er sich dem Willen der Kanzlerin, als CDU-Spitzenkandidat bei den NRW-Landtagswahlen sein Amt als Bundesumweltminister aufzugeben und nach Nordrhein-Westfalen zu wechseln. Die Wahl verlor er deutlich, fast 13 Punkte lagen zwischen seiner CDU und der SPD von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Und Merkel warf ihn raus. Das ist vor ihm und nach ihm keinem Minister passiert. Kurz danach verlor er auch noch seinen Posten als CDU-Vize.

Es war der große Knick in seiner Karriere. Hinfallen und wieder aufstehen – „ich würde sagen, dass beides wichtig ist für die Übernahme großer Verantwortung“, so Röttgens Fazit im Nachhinein.

Röttgen hat sich wieder aufgerappelt im politischen Berlin, 2014 übernahm er den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss. Seither ist er ein vielgefragter Experte, der für seine russlandkritische Haltung und als Amerika-Freund bekannt ist. In der Union wurde er immer wieder als Kandidat für das Außenministerium gehandelt, doch nach der Bundestagswahl 2017 fiel das Auswärtige Amt in den Verhandlungen um eine große Koalition an die SPD.

Nun will der Jurist mehr. Er sei nicht der vierte Kandidat, sondern der erste, weil kein anderer bisher seine Kandidatur erklärt habe, betonte Röttgen selbstbewusst. In der Tat, weder Friedrich Merz, mit dem sich AKK am Dienstag eine Stunde lang beriet, noch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Gesundheitsminister Jens Spahn haben ihre Kandidatur bisher öffentlich gemacht. Sie gelten daher in der Parteizentrale als „Interessenten“.

Insgesamt gibt es bereits drei offizielle Bewerber

Zudem wurde am Dienstag aus dem Konrad-Adenauer-Haus noch einmal bestätigt, dass es im Moment drei offizielle Bewerber gebe: „Neben Norbert Röttgen haben sich zwei weitere CDU-Mitglieder schriftlich beworben.“ Diese Namen blieben aber vertraulich, „solange sich die Bewerber nicht selbst äußern“.

Rechnet man also zusammen, gibt es derzeit sechs, die sich den Job vorstellen können. Mindestens vier davon aus NRW. Laschet und Spahn werden an diesem Mittwoch zum Gespräch bei Kramp-Karrenbauer erwartet. AKK will auch mit Röttgen in den nächsten Tagen unter vier Augen sprechen.

Vor der Presse erklärte der Rheinländer, im Rennen um den Parteivorsitz müsse es um die richtige inhaltliche Aufstellung der CDU gehen. Er forderte eine klare Abgrenzung nach Links- und Rechtsaußen. Zudem müsse sich die Union mehr um die Ängste der Menschen kümmern, die diese zur AfD trieben. „Zu viele erfahren keine Politik, die sie schützt.“ Wahlentscheidend werde für die CDU sein, „dass wir über Zukunftskompetenz verfügen“. Deutlich wurde bei Röttgens Ausführungen freilich auch: Er ist zuallererst Außenpolitiker.

Ein mögliches Problem für die weitere Karriere des 54-Jährigen könnte zudem seine Herkunft aus Nordrhein-Westfalen sein. Denn aus NRW stammen eine ganze Reihe von CDU-Spitzenpolitikern, die nach dem angekündigten Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer vom CDU-Vorsitz und von Angela Merkel aus dem Kanzleramt etwas werden wollen. Und da es bei der Verteilung von Posten auch um den Regionalproporz geht, dürfte es für den Abgeordneten aus dem Rhein-Sieg-Kreis nicht einfach werden.

Röttgen ist für eine Mitgliederbefragung

Nach Röttgens Willen soll es eine Mitgliederbefragung über den Vorsitz geben. „Die Personen sind bekannt.“ Deutlich vor der Sommerpause könne dann ein Sonderparteitag entscheiden. Auch eine eigene Kanzlerkandidatur schloss Röttgen nicht aus: „Der Vorsitzende hat das Recht des ersten Zugriffs.“ Im Falle seiner Wahl glaube er, trotz des damaligen Zerwürfnisses mit der Kanzlerin bis zum Ende der Legislaturperiode im September 2021 gut zusammenarbeiten zu können. „Ich habe an ihrem Verantwortungsbewusstsein und ihrem Pflichtgefühl überhaupt keinen Zweifel.“

Je mehr Bewerber, desto komplizierter wird nun die Vorsitzenden-Findung. Das scheint AKK erkannt zu haben – aus ihrem Umfeld hieß es, noch sei nicht klar, ob die Vorsitzende bei den Gremiensitzungen am kommenden Montag ein konkretes Verfahren vorschlagen werde. Das war der eigentlich der ursprüngliche Fahrplan. Und die ins Gespräch gebrachte Bildung eines Teams wird jetzt auch nicht einfacher, schon gar nicht, wenn vier prominente Herren aus NRW, die sich nicht unbedingt grün sind, um die Unionsmacht ringen.

Die Team-Idee, wehrte Röttgen bereits vorsorglich ab, sei sowieso nur „Taktik“, um die Interessen Einzelner unter einen Hut zu bringen „ohne dass es Ärger gibt“. Der dürfte sich jetzt aber nicht mehr vermeiden lassen.