Papst in Freiburg umjubelt - Treffen mit Kohl
Freiburg/Erfurt (dpa) - Papst Benedikt XVI. ist auf der letzten Station seiner Deutschland-Reise in Freiburg von den Gläubigen überschwänglich gefeiert worden.
29 000 Pilger, vor allem Jugendliche, kamen am Samstag zu einer stimmungsvollen Gebetsvigil mit dem katholischen Kirchenoberhaupt, zu der der 84-Jährige mit dem Papamobil fuhr. Es herrschte eine fröhliche Stimmung im Abendlicht. Wie zuvor schon bei der herzlichen Begrüßung am Freiburger Münster ertönten viele „Benedetto“-Rufe, später erleuchteten zehntausende Kerzen das Areal.
Im Gespräch mit der Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken kritisierte der Papst laut Vatikan die vielen katholischen Gremien und Verbände in Deutschland. „Ehrlicherweise müssen wir doch sagen, dass es bei uns einen Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist gibt.“ Fraglich, sei ob dahinter die entsprechende geistige Kraft“ stehe.
Benedikt fügte hinzu: „Die eigentliche Krise der Kirche in der westlichen Welt ist eine Krise des Glaubens. Wenn wir nicht zu einer wirklichen Erneuerung des Glaubens finden, wird alle strukturelle Reform wirkungslos bleiben.“ Am Morgen hatte Benedikt in Erfurt den Mut der Katholiken in DDR-Zeiten gewürdigt, am Freitagabend Missbrauchsopfer getroffen.
Bei der Vigil, einer liturgischen Gebetswache, forderte Benedikt junge Christen dazu auf, „glühende Heilige“ zu werden und sich Gott hinzugeben. „Der Schaden der Kirche kommt nicht von ihren Gegnern, sondern von den lauen Christen.“
Die gute Stimmung hielt die Jugendlichen aber nicht davon ab, vor dem Eintreffen des Papstes auch kritische Ansichten kundzutun. Die Veranstalter hatten aufblasbare Tüten in Grün und Rot verteilt und stellten Fragen. Die Menge signalisierte mit den Tüten, dass für sie die Unterscheidung in evangelisch und katholisch keine Rolle spielt, sie Homosexualität nicht als Sünde sieht und Frauen in der katholischen Kirche eine größere Rolle spielen sollten.
Der Papst traf sich auch mit Vertretern der Orthodoxen Kirche in Deutschland. „Unter den christlichen Kirchen und Gemeinschaften steht uns die Orthodoxie theologisch am nächsten“, betonte er nach Angaben des Vatikans. Am Vortag hatte er Hoffnungen vieler Protestanten auf mehr Miteinander mit den Katholiken nicht erfüllt.
Bei einer Begegnung mit Helmut Kohl würdigte Benedikt den 81-Jährigen als Kanzler der Einheit. Das Gespräch mit Kohl, der im Rollstuhl saß und von seiner zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter begleitet wurde, fand hinter verschlossenen Türen statt. Es kam auf Bitten des Papstes zustande. „Es war der Wunsch des Heiligen Vaters, dem Kanzler der Einheit zu begegnen“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, der Nachrichtenagentur dpa. Kohl wollte sich nicht äußern, weil er das Treffen als privat wertete.
Zur Begrüßung hatten 24 000 Menschen dem Pontifex in der Freiburger Innenstadt bei strahlendem Sonnenschein zugejubelt. Er fuhr im Papamobil durch eine von Menschen gesäumte enge Gasse zum Münster. Nach einem Rundgang durch das Gotteshaus und einem Gebet erwiderte er scherzhaft die Willkommensgrüße: „Mein besonderer Dank gilt dabei eurem lieben oberwürdigsten Erzbischof Dr. Robert Zollitsch für die Einladung. Er hat mich so bedrängt, dass ich am Schluss sagen musste: Nach Freiburg muss ich wirklich kommen“, sagte Benedikt schmunzelnd und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Trotz aller Anstrengungen fühlt sich der Papst nach wie vor fit. „Es geht ihm wirklich gut und auch besser, als ich erwartet habe“, sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi. „Es ist wunderbar, wie er alle Momente dieser Reise wirklich intensiv erlebt.“ Auf dem Münsterplatz und bei der Vigil wirkte Benedikt sogar entspannter als an den Tagen zuvor. Am Sonntag fliegt er zurück nach Rom - nach einer Open-Air-Messe mit 90 000 Gläubigen und einer Rede im Freiburger Konzerthaus.
Bei der Papstmesse auf dem Domplatz in Erfurt mit 28 000 Gläubigen herrschte am Morgen ähnlich gute Stimmung wie in Freiburg. Der Papst hob die Standfestigkeit der Katholiken in Osten hervor.
Außerhalb des offiziellen Programms hatte er am Vorabend unter Ausschluss der Öffentlichkeit fünf Missbrauchsopfer getroffen und sich erschüttert gezeigt. Der Skandal um jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Kindern in kirchlichen und anderen Einrichtungen hatte im vergangenen Jahr an den Grundfesten der katholischen Kirche gerüttelt. Opferinitiativen bedauerten, dass ihre Vertreter nicht zu dem Treffen eingeladen worden seien.
In einer Erklärung des Vatikans und der Bischofskonferenz hieß es, der Papst habe den zwei Frauen und drei Männern versichert, dass den Verantwortlichen in der Kirche an der Aufarbeitung aller Missbrauchsdelikte gelegen sei und sie um besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen bemüht seien. Der Trierer Bischof Stefan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz, sagte, die Atmosphäre sei gut und frei von Vorwürfen gewesen. „Es wurde auch geweint“, ergänzte der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer.
Das Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt kritisierte die Begegnung als „scheinheilig“. Sie sei ein Rückschritt und diene dem Verschweigen, Vertuschen und Verleugnen, sagte der Vorsitzende der Opfervereinigung, Norbert Denef, der dpa.
Am Morgen sorgte ein Zwischenfall in Erfurt für Aufregung: Etwa zwei Stunden vor Beginn der Messe mit dem Papst auf dem Domplatz gab ein Mann mit einem Luftdruckgewehr vier Schüsse auf private Sicherheitskräfte an einer Kontrollstelle ab. Die Polizei nahm einen Verdächtigen fest. Er bestritt die Tat. Verletzt wurde niemand.
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) warb für mehr Geduld in der Ökumene. Sie sei von der Begegnung des Papstes mit den Spitzen der Evangelischen Kirche in Deutschland am Freitag nicht enttäuscht. Ökumene sei in der Tat nicht das Aushandeln eines Vertrages, sondern könne nur aus dem Glauben entspringen. „Papst Benedikt hat mir da aus der Seele gesprochen“, sagte die evangelische Pfarrerin.