SPD-Linke fordern Nahles-Rücktritt wegen Sarrazin
Berlin/Frankfurt (dpa) - In der SPD spitzt sich der Streit um den gescheiterten Parteiausschluss von Thilo Sarrazin zu. Die hessischen Jungsozialisten forderten deswegen den Rücktritt von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles.
Der ehemalige Bundesbankvorstand habe seine „rassistischen und sozialdarwinistischen Äußerungen“ nicht ausdrücklich zurückgenommen, sagte der hessische Juso-Vorsitzende Felix Diehl am Mittwoch in Frankfurt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum sein SPD-Ausschluss nicht weiter verfolgt werde. „Deshalb fordern wir Konsequenzen aus dieser Entscheidung und den Rücktritt von Andrea Nahles als SPD-Generalsekretärin“.
Wegen umstrittener Thesen zur Integrationsfähigkeit von Zuwanderern hatte die SPD das Verfahren gegen Sarrazin mit dem Ziel des Ausschlusses in Gang gesetzt. Nahles hatte die SPD vor der Schiedskommission vertreten. Nach Sarrazins Versicherung, er sei falsch interpretiert worden, wurde das Verfahren überraschend vor Ostern eingestellt.
Der „Berliner Erklärung“ gegen den Verbleib Sarrazins in der SPD haben sich im Internet bis Mittwochnachmittag über 2000 Unterstützer angeschlossen. „Die Erklärung spiegelt die Seele der Partei“, sagte der Berliner Landesparlamentarier Raed Saleh, einer der Unterzeichner. „Die Mehrheit der Partei tickt anders als scheinbare Strategen wie Andrea Nahles.“ Rund 400 Unterstützer kommen aus Berlin.
Die Erklärung kritisiert den „Zickzackkurs der Partei“ beim Vorgehen gegen Sarrazin. „Wir entschuldigen uns bei den Menschen, die sich durch diese Haltung verletzt oder enttäuscht fühlen“, schreiben die Verfasser und appellieren an die SPD-Mitglieder, die Partei nicht zu verlassen: „Die Partei braucht Euer politisches Rückgrat.“
Bei der Entscheidung für den Verbleib Sarrazin in der SPD gab es nach Angaben seines Anwalts Klaus von Dohnanyi keine Vorabsprachen. „Es war nichts vorab abgesprochen. Und es hat auch nie einen taktischen Deal gegeben“, sagte der frühere Hamburger Bürgermeister, der Sarrazin im Verfahren vor der Schiedskommission vertreten hatte, dem „Hamburger Abendblatt“. Er hoffe, dass der Berliner Ex-Finanzsenator künftig dazu beitragen werde, mit seinen Aussagen nicht mehr missverstanden zu werden. „Aber die SPD darf gegenüber eigenwilligen Charakteren wie Sarrazin nicht zu verschlossen und skeptisch sein.“
Der niedersächsische SPD-Chef Olaf Lies sagte der Zeitung, er sei mit dem Ausgang unzufrieden. „Ich fürchte aber, dass die Partei keine andere Wahl hatte. Hätte die SPD Sarrazin ausgeschlossen, hätte sie ihm damit die Möglichkeit eröffnet, in die Revision zu gehen und damit wieder die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“
Der geschäftsführende Bundesvorstand der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte der „Berliner Zeitung“, für ihn sei die Einstellung des Verfahrens nicht nachvollziehbar. „Nach dieser Entscheidung werden viele Wähler nichtdeutscher Herkunft der SPD den Rücken kehren“, sagte Kolat, der den Arbeitskreis Integration und Migration der SPD leitet.
Andere SPD-Politiker stellten sich hinter den Beschluss, auf einen Ausschluss zu verzichten. „Die SPD ist die Partei mit der größten Meinungsvielfalt. Wir müssen Meinungsverschiedenheiten aushalten“, sagte der Chef der nordrhein-westfälischen Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer, der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. „Es bringt nichts, weiter darüber zu streiten“, sagte der Sprecher des „Seeheimer Kreises“, Johannes Kahrs.
Nahles verteidigte in einem Brief an SPD-Funktionsträger die Einstellung erneut als „kluge Entscheidung“. Die SPD müsse auch kontroverse Ansichten und Personen aushalten, „auch wenn es ihr manchmal schwerfällt“, betonte sie. Die Schiedskommission habe Sarrazin zu „dem Einlenken bewegt, das mindestens notwendig war, um weiterhin Mitglied der SPD sein zu können“.