Weg frei für Grün-Rot im Südwesten
Stuttgart/Sindelfingen (dpa) - Knapp sechs Wochen nach der Landtagswahl haben Grüne und SPD den Weg für ihre historische Koalition in Baden-Württemberg endgültig frei gemacht. Parteitage beider Parteien billigten am Samstag den Koalitionsvertrag.
Die grünen Delegierten votierten in Stuttgart ebenso einstimmig für die Vereinbarung wie die Sozialdemokraten in Sindelfingen. Weder bei den stärkeren Grünen noch beim Juniorpartner SPD gab es größere Kritik am Vertragswerk oder an der Verteilung der Ministerien. Die SPD-Landesvize und Parteilinke Hilde Mattheis sprach von einem „Tag der Freude“. Am Montag wollen Spitzenvertreter beider Parteien den Koalitionsvertrag unterschreiben. Am Donnerstag stellt sich Winfried Kretschmann im Landtag zur Wahl als erster grüner Ministerpräsident in Deutschland.
Kretschmann mahnte die SPD zur Einigkeit. „In einem Land, wo die CDU immer noch die stärkste Partei ist, können wir uns keine Konflikt-Koalition erlauben. Sondern wir müssen an einem Strang ziehen“, sagte Kretschmann vor gut 200 Delegierten. Am Freitag waren aus der SPD Zweifel gesät geworden, ob alle Grünen-Abgeordneten Kretschmann wählen. Bei der Wahl kommt es auf jede Stimme an. Mehr als einen Abweichler kann sich die Koalition nicht leisten, ohne die Wahl zu gefährden.
SPD-Landeschef Nils Schmid sieht im Bündnis mit den Grünen ein langfristiges Projekt. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, sagte der designierte Vize-Regierungschef vor etwa 300 Delegierten. Der Koalitionsvertrag sei „ein festes Fundament für ein gemeinsames Regierungshandeln.“ Schmid warb für Solidarität mit dem designierten Grünen-Regierungschef. „Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann verdient unsere uneingeschränkte Unterstützung bei dieser schwierigen Aufgabe.“
Beide Partner setzten unterschiedliche Akzente bei der Zukunft der Autobranche. Kretschmann bestand auf einer grundlegenden Veränderung in der Verkehrspolitik: „Von unserem Ziel einer umweltfreundlichen Mobilität werden wir uns durch nichts und niemandem abbringen lassen.“ Dies habe er auch dem Daimler-Chef Dieter Zetsche gesagt. „Und der war darüber überhaupt nicht verwundert.“ Schmid sagte in Sindelfingen: „Baden-Württemberg ist seit 125 Jahren das Autoland und das wird es auch bleiben.“ Die Branche sei das Rückgrat der Wirtschaft, müsse aber umweltfreundlicher werden.
Kretschmann hatte sich massive Kritik aus der Autobranche, aber auch vom Koalitionspartner eingehandelt, weil er für weniger und kleinere Autos plädiert hatte. Er betonte nun: „Wie viele Autos am Ende Porsche, Audi oder Daimler verkaufen, bestimmt ja nicht der Ministerpräsident, sondern am Ende der Markt.“ Grünen-Landeschef Chris Kühn betonte, die grün-rote Koalition sei keine Gefahr für Jobs in der Autoindustrie. Er grenzte sich zugleich von der SPD ab: „Wir Grünen haben kein Benzin im Blut und das ist auch gut so. Aber wir haben die Sonne im Herzen und die besseren Konzepte.“
Der designierte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kündigte an, das Ergebnis eines Volksentscheids über Stuttgart 21 auf jeden Fall zu akzeptieren. „Wir haben vor der Wahl eine Volksabstimmung versprochen. Die wird stattfinden. Das Votum wird anerkannt. Auch von mir als Minister“, sagte Hermann der „Leipziger Volkszeitung“. Das Milliarden-Projekt zum Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und die Anbindung an die künftige Schnellbahntrasse nach Ulm ist der strittigste Punkt in der grün-roten Koalition. Beim SPD-Parteitag spielte das Thema praktisch keine Rolle.
Wie die dpa erfuhr, hat sich die SPD im Tauziehen mit den Grünen um die Zuständigkeit für den Städtebau und den Wohnungsbau durchgesetzt. Diese Bereiche sowie der Denkmalschutz bleiben im SPD-geführten Wirtschaftsministerium und gehen nichts ins grüne Ressort für Verkehr- und Infrastruktur.