Weiterer Fall von Aktenvernichtung mit NSU-Bezug
Berlin/Dresden (dpa) - Auch einen Monat nach Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sind im Bundesamt für Verfassungsschutz noch Akten mit Bezug zu der Terrorzelle vernichtet worden.
Bei den am 5. Dezember 2011 gelöschten Daten handele es sich um Beweismittel zu Abhöraktionen, die Personen mit Kontakt zu NSU-Mitgliedern betrafen.
Das sagte Ministeriumssprecher Jens Teschke am Freitag in Berlin. Einen Bezug zu Straftaten der NSU gebe es aber nicht. Der Terrorzelle, die jahrelang unentdeckt blieb, werden zehn Morde zugeschrieben.
Grüne und Linke reagierten empört auf die neuen Erkenntnisse und sehen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in der Verantwortung. Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck forderte den CSU-Politiker auf, dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags Rede und Antwort zu stehen. „Für die Aktenvernichtung trägt der Minister die politische Verantwortung“, sagte er „Handelsblatt online“. Auch die Linke-Innenexpertin Ulla Jelpke griff Friedrich scharf an: „Der Verfassungsschutz betreibt Vertuschung, und der Innenminister versucht, die Vertuschung zu vertuschen.“
Bisher war nur eine Schredder-Aktion vom November 2011 bekannt, bei der wenige Tage nach Auffliegen der NSU Akten zur Thüringer Neonazi-Szene - aus der die Terrorzelle stammt - vernichtet wurden. Deswegen laufen gegen drei Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz disziplinarrechtliche Ermittlungen. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags hat inzwischen kaum noch Zweifel, dass es sich um eine gezielte Vernichtungsaktion handelte. Das Motiv ist aber unklar.
Teschke räumte ein, dass auch im April und Mai 2012 im Bundesamt noch Akten vernichtet worden seien, bei denen die Frage des NSU-Bezugs noch nicht geklärt sei. „Das liegt mir derzeit noch nicht vor, was da jetzt genau in diesen Akten steht“, sagte er. Teschke betonte, dass die Anweisung des Innenministeriums für alle diese Löschaktionen bereits 2005 ergangen sei. Er erklärte die Verzögerung mit gesetzlichen Fristen und einem regelrechten Aktenstau vor den Reißwölfen des Verfassungsschutzes.
Einen Schredder-Stopp für Akten über Abhöraktionen im Bundesamt für Verfassungsschutz gab es erst Anfang Juli. Und erst am vergangenen Mittwoch ordnete das Innenministerium an, keinerlei personenbezogenen Daten aus dem Bereich Rechtsextremismus mehr zu löschen.
Bei Sachsens Verfassungsschutz sind nach mehrheitlicher Einschätzung der Parlamentarischen Kontrollkommission seit dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle keine Akten zum Komplex Nationalsozialistischer Untergrund NSU vernichtet worden. „Wir haben derzeit keine Anhaltspunkte für derartige Vorgänge“, sagte der Kommissionsvorsitzende Günther Schneider (CDU) am Freitag nach einer Sondersitzung des Gremiums in Dresden.
Eine Vernichtung von Akten oder Aktenteilen mit NSU-Bezug sei im Landesamt nach Bekanntwerden der Vorgänge um die Terrorzelle untersagt worden, sagte Schneider. Die Formulierung „NSU-Bezug“ schließt nach seinen Worten auch Unterstützer des Neonazi-Trios ein.