Westerwelle, der Wahlkämpfer

Der Ex-Parteichef hatte sich nach seinem Rücktritt auf die Außenpolitik konzentriert. Nun greift er wieder in die Innenpolitik ein.

Berlin. Guido Westerwelle hat sich lange innenpolitisch zurückgehalten. Doch damit ist es jetzt vorbei. Gut fünf Monate vor der Bundestagswahl gibt sich der Außenminister nicht mehr mit diplomatischen Höflichkeiten in Sachen Afghanistan oder Syrien zufrieden. Der einstige FDP-Chef spricht auch wieder Klartext, wenn es um Homo-Ehe, Mindestlohn oder um Gerechtigkeit und Umverteilung geht.

Dabei ist für Westerwelle gerade das Feld der Sozialpolitik ein stark vermintes Gelände. Seine provokante Bemerkung in der Hartz-Debatte vor drei Jahren trug nicht unerheblich zum Niedergang der Liberalen bei. „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein“, schrieb Westerwelle damals in einem Zeitungsbeitrag.

Worauf ein Sturm der Entrüstung losbrach. Inzwischen zeigt sich der Polarisierer reumütig: Hätte er gewusst, was die Worte von der spätrömischen Dekadenz auslösen, „hätte ich es gelassen“, bekannte Westerwelle vor zwei Wochen.

Und er bekannte, dass er „viele Fehler“ gemacht habe, dass er sich heute noch darüber gräme, und dass die FDP mit ihm schlicht „durch“ gewesen sei.

Gemeint war der Tiefpunkt in Westerwelles Parteikarriere, als er sich im April 2011 wegen der stetig wachsenden innerparteilichen Kritik an seiner Person gezwungen sah, den Verzicht auf den FDP-Vorsitz zu erklären. Kurz drauf übernahm Philipp Rösler das liberale Ruder, aber niemand könnte ernsthaft behaupten, dass es der Partei seitdem sonderlich besser ginge.

Wohl auch deshalb mag Westerwelles frühere Rolle so manchem Freidemokraten heute in milderem Licht erscheinen. Immerhin hatte er mit einem furiosen Wahlkampf dafür gesorgt, dass die Freidemokraten im Herbst 2009 mit 14,6 Prozent ein Rekordergebnis einfuhren.

Von da an ging es stetig bergab. Doch das ist offenbar Schnee von vorgestern. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hält Westerwelle für unverzichtbar: „Wir brauchen ihn als starken Wahlkämpfer im Team.“

Für seine neue Verwendung kann sich Westerwelle auf die Parteibasis in Nordrhein-Westfalen stützen. Der größte Landesverband der Liberalen hatte ihn mit rund 88 Prozent zu seinem Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gewählt.

Für den Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter ist das innenpolitische Comeback Westerwelles trotzdem mit Risiken für die Liberalen behaftet: „Er hat sich sicher gefangen, aber durch die Zurückhaltung, die er geübt hat, und durch die Beschränkung auf die Außenpolitik.“

Bei einer Rückkehr in die Innenpolitik werde er wieder Blessuren davon tragen, glaubt Falter. Gleichwohl sei Westerwelle der „mit Abstand begabteste Rhetoriker“ seiner Partei, so Falter gegenüber unserer Zeitung.