Interview mit Bildungsforscher Klaus Klemm

Der Bildungsexperte Klaus Klemm spricht über Ausgaben für Bildung, Inklusion und Ganztag.

Düsseldorf. Klaus Klemm (Foto) ist einer der erfahrensten Bildungsforscher Deutschlands. Er war bis zu seiner Emeritierung 2007 Professor für empirische Bildungsforschung und Bildungsplanung an der Universität Duisburg-Essen. Außerdem war er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Pisa-Studien. Gestern hat er eine Studie über die Perspektiven und Chancen angesichts der demografischen Entwicklung und zum Lehrerbedarf in NRW vorgestellt.

Herr Klemm, wie steht Nordrhein-Westfalen im Bildungsbereich im Moment da?

Klaus Klemm: Es gibt Bereiche, bei denen ich die Entwicklungsrichtung sehr positiv bewerte. Die Inklusion läuft in eine vernünftige Richtung. Auch bei der U 3-Betreuung kommen wir auf die geforderten 35 Prozent. Ich erwarte allerdings, dass das nicht reichen wird.

Warum?

Klemm: Das hat mit einem neuen Frauenbild zu tun. Wer heute ein Kind bekommt, will trotzdem arbeiten gehen. Aus dem gleichen Grund ist auch die Nachfrage nach Ganztagsschulen groß. Ich bin skeptisch, dass wir zu einem bedarfsdeckenden Ausbau kommen — wobei es hier natürlich keine vorgegebene Quote gibt. Im Bereich Ganztag hat das Land zwar viel erreicht, aber es muss Raum und Lehrer finanzieren.

Was bereitet Ihnen noch Sorgen?

Klemm: Die größte Baustelle, die wir haben, sind Ausbildungsplätze für alle Jugendlichen. Das Land macht zwar viel dafür, die Jugendlichen zu einer Ausbildung zu befähigen. Das Problem ist aber nicht gelöst, wenn die Wirtschaft nicht genug Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, oder nur Kandidaten mit einem mindestens sehr guten Realschulabschluss nimmt. Das Land muss schulische Ausbildungen anbieten. Ansonsten sind dauerhaft 15 Prozent der jungen Menschen ohne Ausbildung — das können sich NRW und Deutschland nicht leisten.

Gibt die Politik in Bund und Land zu wenig für Bildung aus?

Klemm: Der Anteil der Bildungsausgaben in Deutschland liegt unterhalb des OECD-Durchschnitts, stattdessen geben wir überdurchschnittlich viel Geld für Familienpolitik aus. Das ist Konsens, obwohl ich mich frage, warum jemand mit meinem Verdienst denn Kindergeld bekommt? Diese Maßnahmen verpuffen leider und helfen schon gar nicht, das Bildungsniveau zu heben, siehe Herdprämie.

Wie kann eine Akzeptanz für Bildungsausgaben geschaffen werden?

Klemm: Noch ist die Prioritätensetzung anders, aber mit wenig Geld kann man beispielsweise die Inklusion nicht gut umsetzen. Da lässt man das Kind dann lieber in einer Förderschule, wenn es nicht richtig gemacht ist. Inklusion ist nicht als Nullsummenspiel von Ressourcen möglich. Die Kinder mit Förderbedarf brauchen eine besondere Betreuung. In dem Bereich ist die Planung der Landesregierung aber akzeptabel.

Welche Herausforderungen stellen sich Lehrern und Schulen von heute?

Klemm: Die moderne Schule hat einen höheren Auftrag zur Individualisierung. Lehrer müssen sich dem Einzelnen mehr anpassen. Man kann nicht mehr durch die Mitte arbeiten, und die guten Schüler langweilen sich, während die schlechten nichts verstehen.

Wie kann die moderne Schule gefördert werden?

Klemm: Lehrer einer Fachrichtung sollten gemeinsam Unterrichtskonzepte erarbeiten. Dafür benötigt man aber auch zusätzliche Ressourcen.