Interview mit Wolfgang Merkel: „Demokratie zunächst unwahrscheinlich“

Experte glaubt, dass Ägypten zunächst autoritär durch das Militär regiert wird.

Berlin. Die Eskalation der Gewalt in Ägypten erschüttert die Welt. Der Euphorie der „Arabellion“ folgt Ernüchterung. Der Demokratieforscher Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin (Foto: David Ausserhofer/Wissenschaftszentrum Berlin) erklärt, wie es in dem Land weitergeht.

Steht Ägypten vor einem Bürgerkrieg?

Wolfgang Merkel: Bei der jüngsten Gewalteskalation kann man zumindest kurzfristig von bürgerkriegsähnlichen Zuständen sprechen. Langfristig glaube ich aber nicht, dass Ägypten einen Bürgerkrieg wie in Syrien erleben wird. In Ägypten ist das Militär klar stärker als die Islamisten und zeigt das gerade auch sehr deutlich. Die ausländischen Mächte werden sich außerdem hoffentlich hüten, die Opposition so aufzurüsten wie sie das in Syrien getan haben.

Warum kommt es zwei Jahre nach dem Machtwechsel zu so heftigen Kämpfen?

Merkel: Revolutionen sind in der Regel keine sanften Umschwünge. Revolutionen sind blutig, oft auch noch Jahre nach dem Machtwechsel. Das Wechselspiel von demokratischen und autokratischen Kräften an der Spitze ist nicht ungewöhnlich. Das war bereits nach der französischen Revolution so.

Was ist schiefgelaufen?

Merkel: Die maßgeblichen Akteure sind alles andere als demokratisierungswillig. Auf der einen Seite steht das Militär und Reste des alten Mubarak-Regimes, auf der anderen Seite standen die Muslimbrüder und Salafisten. Die echten demokratischen Kräfte sind bis heute kaum organisiert und spielen in der ägyptischen Politik kaum eine Rolle.

Wie könnte eine Demokratisierung trotzdem gelingen?

Merkel: Demokratie in Ägypten ist denkbar, aber erst mal unwahrscheinlich. Das Land ist tief gespalten in ein religiös-fundamentalistisches und ein hartes säkulares Lager. Ägypten braucht ein neues Regierungssystem: Eine Mehrheitsdemokratie kann dort nicht funktionieren, mit 50,1 Prozent der Wählerstimmen kann man ein gespaltenes Land nicht regieren. Unter dem abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi wurde dieses Modell zu einer gewählten Mehrheitsdiktatur. Ägypten braucht das, was Politologen Konsensdemokratie nennen: Breite Mehrheiten, alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte müssen beteiligt, Minderheitenrechte geschützt werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Merkel: Ich glaube, dass Ägypten zunächst ein weiches autoritäres System unter militärischer Aufsicht bekommen wird. Eine blühende Demokratie sollte man in näherer Zukunft nicht erwarten.