Landesparteitag der NRW-SPD in Bochum 98,45 Prozent für Hannelore Kraft
Mit einem deutlich besseren Ergebnis als 2014 in Köln hat der Landesparteitag der NRW-SPD die Ministerpräsidentin zum fünften Mal als Vorsitzende der Landespartei bestätigt.
Bochum. Es ist entweder das drittbeste Ergebnis oder das drittschlechteste, mit dem die Landespartei Hannelore Kraft zum fünften Mal im Amt der Vorsitzenden bestätigt hat. 2014 in Köln, dem Jahr der Funkloch-Debatte, erhielt Kraft mit 95,18 Prozent ihr bislang schlechtestes Ergebnis. Das beste erreichte sie 2012 in Münster mit 99,08 Prozent. Da wähnte sich die NRW-SPD noch unbesiegbar und hatte gerade sechs Monate zuvor mit den Grünen die Landtagswahl gewonnen. Davon sind Kraft und ihre SPD im Herbst 2016 weit entfernt, dafür sind 98,45 Prozent ein Top-Ergebnis.
Hannelore Kraft hielt vor dem Parteitag im Bochumer RuhrCongress allerdings auch die passende Rede dazu; eine der besten in jüngster Zeit, vielleicht ihre zweitbeste Parteitagsrede. Was all die Zahlen, die Kraft und ihrem Kabinett ständig vorgehalten werden, nicht hergeben, das lässt sich sehr wohl aus der Stimmung der rund 450 Delegierten ziehen, die kein Schlusslicht sehen, sondern Licht am Ende des Tunnels.
Und so erzählt der „politische Bericht der Landesvorsitzenden“ die Geschichte eines Landes, in dem die SPD erstmal die Missetaten ihrer schwarz-gelben Vorgänger aufräumen musste, und vor fast zehn Jahren hier in Bochum im Januar 2007 nach zwei frustrierenden Oppositionsjahren entschied, das mit Ex-Wissenschaftsministerin Kraft als Nachfolgerin von Jochen Diekmann zu tun (Wahlergebnis: 95,6 Prozent). „Selbst als Opposition waren wir besser", sagt Kraft, und das die SPD („wir mit unserer unverrückbaren Werteorientierung“) gerade jetzt gebraucht werde, weil sie dafür stehe, dass wir alle NRW sind.
„Wir haben einen klaren Plan für unser Land“, sagt Hannelore Kraft, „und der war immer langfristig angelegt“. Es brauche einen langen Atem, aber schon am Montag, wenn die erste Prognose für das Jahr 2016 komme, da sei sie sicher. Es dauert eine Zeit, bis die Vorsitzende sich warmgeredet hat. Im Vorbeigehen bekräftigt sie das Scheitern des rot-grünen Schulkonsenses als programmatisches Vorgehen: Zu lange habe man an den G8-Fehlern der Rüttgers-Regierung Symptome bearbeitet, jetzt werde man den „Geburtsfehler korrigieren“. Und die Kita-Finanzierung Richtung Beitragsfreiheit umgestalten. Und die „Projekteritis“ in den Arbeitsverhältnissen junger Menschen beenden, um ihnen Planungs- und Zukunftssicherheit zu verschaffen.
Dazu erfindet Kraft den Slogan „Mehr Gerechtigkeit wagen“. Eine Bürgerversicherung für alle werde es geben, und was Studenten an Unterstützung erhalten, das soll Auszubildenden nicht vorenthalten werden. Und wie bereits bei der NRW-Staatspreisverleihung in dieser Wochen an Christel und posthum Rupert Neudeck angekündigt, soll Entwicklungspolitik wieder mehr in den Fokus rücken.
Im besten Teil ihrer Rede berichtet Hannelore Kraft von Begegnungen mit unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen in diesem Sommer, die bei deutschen Familien unterkommen. Bei den Gesprächen ruckele sich zurecht, was wichtig sei im Leben und was man bloß wichtig nehme. Kraft sagt Sätze, die mitten ins Herz gehen: Die Hetzer schauten nie in die Augen derer, über die sie hetzten. Sonst könnten sie es nicht tun. Sie sei stolz darauf, was das Land geleistet habe. Und das man auf die Menschen in diesem Land setzen könne. Schritt für Schritt komme man voran. Die Vorsitzende empfiehlt Demut, Disziplin und Vertrauen. Kraft: „Und ich vertraue weiter auf Euch. Ich weiß, dass ich das kann.“
Und das kann sie. „Dass ich nach fast zehn Jahren noch so ein Ergebnis bekomme, das haut mich fast um“, sagt Hannelore Kraft, richtet tief bewegt und mit einer Träne im Auge „Grüße an meine Mama, schade, dass du nicht dabei sein kannst“. Das ist echt. Und genau so echt ist, dass Kraft sich zwei Minuten später fasst und den Applaus des Parteitags unterbricht. Die Delegierten haben noch ein strammes Programm vor sich, und sie hat die Redezeit überzogen. „Scheiß drauf“, sagt die Chef-Genossin, „wir sind ein gutes Team.“
Die Delegierten-Basis ist zufrieden. Alle Themen angesprochen, nicht überdreht. Und genug Luft nach oben gelassen, um bei der Kür zur Spitzenkandidatin am 18. Februar noch eine Schüppe drauf zu legen.