Analyse: Das Ende der absoluten Mehrheit
Wieder haben alle Parteien gewonnen, aber auch alle irgendwie verloren.
Der Pulverdampf hat sich gelegt zwei Tage nach den drei Landtagswahlen in Thüringen, in Sachsen und im Saarland. Dafür rauchen die Köpfe der Politiker und Publizisten angesichts der Frage, was uns die Ergebnisse lehren. Wieder haben alle Parteien gewonnen, irgendwie, das kennen wir ja schon. Aber dieses Mal haben sie irgendwie Recht. Nur ist das erst die halbe Wahrheit. Denn irgendwie haben alle Parteien bei den Wahlen auch verloren.
Die CDU hat sich zwar aus absoluten Mehrheiten in Thüringen und im Saarland krachend verabschiedet mit zweistelligen Verlusten und nicht einmal ihren Plan B realisieren können: ein Bündnis mit der FDP, wenn schon die absolute Mehrheit dahingeschieden ist. Aber die CDU hat sich in Sachsen stabilisiert und kann dort bequem ein schwarz-gelbes Bündnis schließen. So ist sie mit zwei blauen Augen davongekommen.
Die SPD hat sich in Sachsen beschämend von der FDP einholen lassen. Aber sie hat in den anderen beiden Ländern eine Machtoption gewonnen. Entweder als Junior-Partner einer Großen Koalition mit den bisherigen CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller im Saarland und Dieter Althaus in Thüringen, denen aber das Stigma der Wahlverlierer anhaftet. Oder in einer rot-rot-grünen Koalition, eine Option, die aber riskant und kompliziert sein wird.
Als wirkliche Wahlgewinner erscheinen die drei kleineren Parteien. FDP und Grüne sind sicher in die beiden ostdeutschen Landtage wieder eingezogen. Das war nie selbstverständlich. Insofern normalisiert sich das deutsche Parteiensystem in West und Ost. Beide kleinen Parteien konsolidieren sich. Das ist sicher eine Folge der Großen Koalition in Berlin, die Oppositionskräfte stärkt.
FDP-Chef Guido Westerwelle kann vor Kraft kaum laufen, aber er muss bei allem Erfolg zur Kenntnis nehmen, dass Schwarz-Gelb im Saarland und in Thüringen keine Mehrheit hat. Auch die Grünen sind glücklich, ohne zu wissen, ob sie in einem der Länder mitregieren werden.
Die Linke schließlich hat im Westen eine Wahlernte in die Scheuer gefahren, wie sie sonst nur im Osten denkbar war. Aber auch sie sollte nicht übermütig werden, denn das Saarland war Oskar Lafontaines Stammland und spielt bundesweit nur eine Randrolle. Erfreut können wir als Demokraten registrieren, dass die NPD-Stimmen sich in Sachsen mehr als halbiert haben und dass kein anderer Landtag erobert wurde. Die Wahlbeteiligung ist im Saarland drastisch und in Thüringen moderat gestiegen. Auch das ist ein gutes Zeichen für die Demokratie.
Wie liest man also die disparaten Wahldaten des Sonntags? Ich sehe eine Stabilisierung des Unstabilen. Das Mobile aus fünf Parteien hat sich in den drei Landtagen, hat sich in Deutschland stabilisiert. Es wackelt noch und muss sich austarieren. Das kann noch bis nach der Bundestagswahl andauern. Aber wir werden damit leben müssen.
Absolute Mehrheiten gehören der Vergangenheit an, Zweierkoalitionen werden immer seltener. Bürger und Parteien müssen sich mit einer bunteren Parteienlandschaft arrangieren. Das muss keine Ängste hervorrufen. Unsere europäischen Nachbardemokratien können das auch.
Da war noch etwas? Wie wirkt sich der Wahlsonntag auf die Bundestagswahl aus? Es ist nicht alles offen. Dreierbündnisse schließe ich aus. Wenn Schwarz-Gelb eine Stimme Mehrheit hat, werden sie es wagen, sonst gibt es wohl wieder eine Große Koalition. Und das heißt: Die Kanzlerin bleibt.
Professor Ulrich von Alemann lehrt Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.