Antisemitismus-Vorwurf, Sex und Langeweile - NRW-Piraten unter Druck
Land unter bei den Piraten in NRW. Mit Kommentaren im Internet bringt sich die junge Landtagsfraktion derzeit an mehreren Fronten unter Beschuss: Eine Piratin fällt mit anzüglichem Gezwitscher im Landtag auf. Ein Fraktionskollege empört mit Äußerungen über Israel.
Düsseldorf (dpa) - Ein Landtagsabgeordneter der Piraten in Nordrhein-Westfalen hat sich mit einer Twitter-Mitteilung zum Nahost- Konflikt Antisemitismus-Vorwürfe eingehandelt. Dietmar Schulz (52) hatte am Volkstrauertag im Kurznachrichtendienst Twitter geschrieben: „Grotesk: Gedenken der Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg auf jüdischem Friedhof während Israel bombt was das Zeug hält.“ „Unerträglich“, befand Landtagspräsidentin Carina Gödecke (SPD) am Montag und forderte Konsequenzen. Auch der eigene Parteivorstand verlangte von dem Unternehmensberater und früheren Rechtsanwalt eine Entschuldigung und Korrektur seiner Äußerung.
Unter dem Druck von Partei und Öffentlichkeit folgte am Nachmittag der verlangte Rückzieher. In einer ausführlichen Erklärung räumte der Abgeordnete ein, Anlass zu „Missverständnissen“ und einer „nicht beabsichtigten Interpretationsmöglichkeit“ gegeben zu haben. Sollten sich Opfer oder Angehörige von Gewaltherrschaft deswegen verletzt fühlen, bedaure er dies zutiefst. Ebenso wie die Vorstände von Landtagsfraktion und Landespartei verwahrte er sich aber gegen Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Piraten.
Am kommenden Mittwoch wird sich voraussichtlich auch der Ältestenrat des Parlaments mit dem Vorfall befassen. Dort steht das Thema Piraten und Twitter ohnehin auf der Tagesordnung. Anfang des Monats war Piratin Birgit Rydlewski mit anzüglichen Zwitschereien mitten aus der Landtagssitzung aufgefallen.
Schon früher hatte die 42-jährige Dortmunder Lehrerin via Twitter Einblicke in ihr Intimleben gegeben. In diesem Monat gab sie während des Plenums nicht nur sexuelle Anspielungen zum Besten, sondern stöhnte auch über Langeweile im Parlament. Politiker aus den anderen Fraktionen reagierten empört. Im Internet wurde die Frage nach ihrer Arbeitshaltung angesichts von rund 11 000 Euro Monatsbezügen aufgeworfen.
Landtagsfraktionschef Joachim Paul schafft es nicht, die 20 neuen Volksvertreter im Zaum zu halten. Ihre parlamentarische Geschäftsführerin, Monika Pieper, dachte bereits öffentlich darüber nach, ob die Fraktion überhaupt noch Sinn mache, wenn „ein lockerer Haufen“ mache, was er will. Das chaotische Bild kostet auch Rückhalt in der Wählerschaft: Waren die politischen Freibeuter noch im Mai mit 7,8 Prozent auf Anhieb ins NRW-Parlament gesprungen, kratzen sie derzeit in Umfragen nur noch an der Fünf-Prozent-Marke.
In der aktuellen Antisemitismus-Debatte attackieren vor allem Grüne die Piraten. Sie hatten im Landtagswahlkampf am meisten unter der medialen Attraktivität der Neulinge zu leiden. Wenn die Piraten jetzt noch ernst genommen werden wollten, gebe es nach der Äußerung von Schulz nur noch „Rücknahme oder Rausschmiss“, twitterte der Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Volker Beck. Auch Grüne aus dem Landtag greifen Schulz in dem Online-Dienst an. „Wo Juden kollektiv für das Handeln Israels verantwortlich gemacht werden, fängt Antisemitismus an“, schreibt die Abgeordnete Verena Schäffer.
In der Vergangenheit waren die Piraten bereits bundesweit wegen antisemitischer oder rassistischer Äußerungen einzelner Mitglieder unter Beschuss geraten. Der Vorstand in NRW reagierte schnell. Unter der Überschrift „Grotesk ist eher der Tweet zu nennen“ bezog das Führungsgremium klar Stellung gegen Schulz: „Der Landesvorstand der Piraten NRW ist enttäuscht von diesem unreflektierten Verhalten“, heißt es in einer Mitteilung. In ihrem Parteiprogramm hätten sich die Piraten eindeutig gegen Rassismus, Diskriminierung, Antisemitismus und Islamhass positioniert.
Gödecke mahnte hingegen: „Wer die systematische Ermordung von Millionen von Juden während der Nazi-Diktatur mit der heutigen Gefahr eines Krieges im Nahen Osten verknüpft, verhöhnt die Opfer der NS-Verbrechen ein zweites Mal.“