Auf dem Land sprechen Kinder besser

Von den 34 000 Vierjährigen, die in NRW gefördert werden, kommen viele aus sozialen Brennpunkten.

<strong>Düsseldorf. Mit einem Sprachtest für Vierjährige setzte die schwarz-gelbe Landesregierung im Frühjahr neue bildungspolitische Maßstäbe. Kein anderes Bundesland war zuvor auf die Idee gekommen, Kinder bereits zwei Jahre vor der Einschulung auf ihre Sprachfähigkeit zu testen. Dabei ist spätestens seit den internationalen Studien Pisa und Iglu bekannt, dass gute Sprachkenntnisse Voraussetzung sind für einen erfolgreichen Bildungsweg und eine gelungene Integration. Doch statt Begeisterung löste das dazu eigens von der Universität Dortmund entwickelte Testspiel "Besuch im Zoo" vielerorts vor allem eins aus - Unverständnis.

Selbst sprachgewandte Mädchen und Jungen blieben einfach stumm

Erzieherinnen fühlten sich von dem in den Kindergärten stattfindenden Tests namens "Delfin 4" (Diagnostik, Elternarbeit und Förderung der Sprachkompetenz 4-Jähriger) überrumpelt. Viele Kinder reagierten auf die ungewohnte Testsituation, die von einem Grundschullehrer geleitet wurde, mit Verweigerung. Selbst sprachgewandte Mädchen und Jungen, so die Beobachtung, blieben einfach stumm.

Die Folge: Von den anfangs 154 000 getesteten Vierjährigen mussten 64 000 zum anschließenden Einzeltest namens "Pfiffikus" antreten - zuzüglich weiterer 25 000 Kinder, die zur ersten Runde nicht erschienen waren.

Dass insgesamt nun 19 Prozent aller Vierjährigen in NRW - rund 34 000 Kinder - gefördert werden müssen, kommt für Schulministerin Barbara Sommer (CDU) nicht überraschend. "Dieses Ergebnis entspricht den Erwartungen." In den Jahren 2004/05 sowie 2005/06 waren bei der bis dahin üblichen Sprachstandsfeststellung bei der Anmeldung zur Grundschule bei 15 Prozent aller Kinder in diesem Alter Sprachförderbedarf diagnostiziert worden.

Ungewöhnlich hoch ist das Gefälle zwischen Stadt und Land, das "Delfin 4" an den Tag gebracht hat. In Städten mit sozialen Brennpunkten hat weit mehr als jedes fünfte Kind Sprachförderbedarf, stellte Familienminister Armin Laschet (CDU) fest. "Dort sind bis zu einem Drittel der Kinder betroffen." Von den Kindern, die keine Tagesstätte besuchen, dürften sogar rund 40 Prozent über mangelhafte Deutschkenntnisse verfügen. In ländlichen Regionen müsse hingegen nur etwa jedes zehnte Kind gefördert werden.

Während die Tests von Lehrern durchgeführt wurden, soll die Förderung nun in der Hand speziell fortgebildeter Erzieherinnen liegen. "Delfin 4" habe zur gegenseitigen Wertschätzung von Erziehern und Lehrern beigetragen, versicherte Laschet. In die nächste Testrunde im Frühjahr 2008 soll der Sachverstand der Erzieher stärker eingebunden werden. "Wir möchten die Hektik aus dem Verfahren herausnehmen und führen Gespräche mit allen Beteiligten", sagte Sommer. Man werde sich auch kritisch mit dem Spielmaterial auseinandersetzen.


Von Anja Clemens-Smicek

Die Notwendigkeit der Sprachtests steht außer Frage. Viel zu viele Kinder beherrschen die deutsche Sprache nur leidlich, wenn sie in die Schule kommen. Das gilt für Migranten wie Deutsche gleichermaßen. Die einen haben Defizite, weil sie in einer Parallelgesellschaft aufwachsen und nur selten eine Tagesstätte von innen sehen. Die anderen, weil im Elternhaus Sprachlosigkeit und Desinteresse herrschen. Die Folgen sind für beide gleich: Sie werden zu Verlierern in unserer Wissensgesellschaft. Deshalb ist es wichtig, schon bei den Vierjährigen kritisch hinzusehen.

Doch "Delfin 4" ist ein Schnellschuss. Dieses Konzept muss dringend weiterentwickelt werden. Wegen mangelnder Sorgfalt bei der Vorbereitung und wegen des enormen Zeitdrucks wurde vielen Kindern der Eindruck vermittelt, sie hätten ihren ersten wichtigen Test im Leben vermasselt. Das musste nicht sein.

Aus den Fehlern lernen heißt aber auch, die Zusammenarbeit zwischen Tageseinrichtung und Grundschule konfliktfrei zu gestalten. Dazu ist aber eine gleiche Augenhöhe wichtig. Doch Erzieher werden - trotz ihres anspruchsvollen Jobs - gerne belächelt. Weil sie nicht wie die Pädagogen eine universitäre Ausbildung absolviert haben. Erst wenn sich das ändert, ist ein echtes "Teamwork" zum Wohle der Kinder möglich.