Analyse Die Zahl der politischen Straftaten in NRW sinkt
Innenminister Herbert Reul (CDU) sieht aber keinen Grund zur Entwarnung. Radikalisierung der rechtsextremen Szene.
Düsseldorf. Auf den ersten Blick klingt er wie eine Entwarnung, der von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und Verfassungsschutzchef Burkhard Freier vorgestellte NRW-Verfassungsschutzbericht 2017. Im Bereich Rechtsextremismus gab es einen Rückgang von 4700 Straftaten im Jahr 2016 auf 3764 im Jahr 2017 — ein Minus von knapp 20 Prozent. Im Bereich Linksextremismus sank die Zahl im gleichen Zeitraum von 1576 auf 1374 Straftaten (minus zwölf Prozent).
Diese „zunächst einmal gute Nachricht“ relativierte Reul aber gleich wieder. In beiden Extremismusbereichen liege man nach wie vor auf erschreckend hohem Niveau. Daher müsse man sehr wachsam bleiben. Zumal es nicht auf die bloße Quantität der Delikte im Bereich der politisch motivierten Kriminalität ankomme, sondern auf die Gefährlichkeit von Tat und Tätern. So hat der Rizin-Fund in Köln und die Festnahme eines Tunesiers, der möglicherweise einen verheerenden Anschlag plante, nach Einschätzung des Innenministers gezeigt, dass „wir leider auch bei uns mit einem solchen Anschlag jederzeit rechnen müssen.“ In diesem Fall hätten die Nachrichtendienste der Polizei wertvolle Hinweise gegeben.
Sorgen bereiten Reul die Rückkehrer aus den ehemaligen Kampfgebieten des „Islamischen Staates“. Auch wenn der IS in Syrien und im Irak militärisch besiegt sei, sei er „noch lange nicht tot, sondern nach wie vor todbringend“. Die salafistische Szene sei in NRW nicht mehr so dynamisch gewachsen wie in früheren Jahren, die Zahl liege mit 3000 extremistischen Salafisten so hoch wie im Vorjahr, zwölf Prozent davon seien Frauen. Dabei stellten die Kinder den Staat vor besondere Herausforderungen — vor dem Hintergrund, dass sich junge Menschen besonders schnell radikalisierten.
Es sei problematisch, dass man bei Kindern unter 14 keine Daten erfassen dürfe. Es wäre laut Reul auch im Sinne des Kindeswohls gut, die Altersgrenze zu senken, damit sich Jugendämter um die Kinder kümmern können.
Beim Rechtsextremismus ist laut Reul eine Radikalisierung der Szene erkennbar. Die neue Rechte versuche, den politischen Diskurs nach rechts zu verschieben und anschlussfähig für die Mitte der Gesellschaft zu machen. So verschleiere die „Identitäre Bewegung“ durch ihr modernes und intellektuelles Erscheinungsbild ihr wahres Gesicht. Das seien nichts anderes als „Hitler-Jungen in Hipster-Klamotten“, wie Reul es ausdrückt.
Rechtsextremistische Organisationen erreichen laut Verfassungsschutzbericht über das Internet Sympathisanten, zu denen sie sonst nur schwer Zugang bekämen. Dadurch erhöhten sie die Wirksamkeit ihrer Propaganda. So entstehe das verzerrte Bild einer vermeintlich großen Organisation, hinter der sich jedoch meist nur wenige Aktivisten verbergen. Falschmeldungen insbesondere zum Thema Flüchtlinge würden von Rechtsextremisten gezielt eingesetzt, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Um an verbreitete Vorurteile und Ängste anzuknüpfen, werde über soziale Medien und das mehrfache Teilen komplett erfundener Nachrichten enorme Breitenwirksamkeit erreicht.
Repressive Aktionen des Staates wirkten hier nur begrenzt. Wichtig sei, die Medienkompetenz der Bürger zu fördern. Auch die gezielte Gegenrede durch Nutzung der Kommentarfunktion oder die Verbreitung aufklärender Information sei hier wichtig, nehmen die Verfassungsschützer die gesamte Gesellschaft in die Pflicht.