Eine Schulministerin auf Spurensuche in der Hauptschule

Es fehlen Lehrer, die Klassen sind zu groß, die Probleme nehmen zu: Eine Krefelder Schule zeigt die Praxis.

Krefeld. In vielen Lehrerkollegien hält sich hartnäckig das Vorurteil, dass Schulminister die Realität in den Klassenzimmern nicht wahrnehmen. Dass Erlasse und Reformen über die Köpfe der Betroffenen hinweg umgesetzt werden. Barbara Sommer (CDU) versucht diesen Eindruck zu widerlegen. "Ich finde es sehr wichtig, in die Schulen zu gehen, mit den Schülern zu reden und mir die Sorgen der Lehrer anzuhören", lautet das Credo der NRW-Schulministerin. Deshalb besuchte sie am Donnerstag in Krefeld die Stephanusschule, eine Katholische Hauptschule.

In dieser Schulform trifft Barbara Sommer auf besonders großen Gesprächsbedarf. Die Lehrer dort kämpfen gleich an mehreren Fronten: gegen das Stigma der "Restschule", mit rückläufigen Anmeldezahlen und einem immer schwierigeren Schülerklientel. "Wir haben die verdammte Aufgabe, auch diesen jungen Menschen ins Leben zu helfen", betonte die Ministerin.

Als einstige Hauptschullehrerin weiß Barbara Sommer um die besonderen Probleme dieser Schulform. Während mit jeder neuen Bildungsstudie heftiger über das Schulsystem in NRW gestritten wird, hält sie eisern an der Dreigliedrigkeit fest. "Meine Zeit an der Hauptschule hat mich geprägt. Es ist wichtig, Risikogruppen nicht in der Masse zu verstecken." Sie sei "nicht Pisa-hörig", sagte Sommer. Deshalb hatte die schwarz-gelbe Landesregierung im Januar eine "Qualitätsoffensive Hauptschule" gestartet.

Doch vom frischen Wind spürt das Kollegium der Stephanusschule noch nicht viel. "Wir finden keinen Nachwuchs", berichtete Schulleiter Uwe Engelbrecht von seinen Problemen, freie Stellen zu besetzen.

Die Gründe für den Mangel: Hauptschullehrer haben die höchste Stundenbelastung, keine Aufstiegschancen, und sie verdienen weniger als ihre Kollegen an Realschulen oder Gymnasien. "Der schlechte Ruf tut sein Übriges", so Engelbrecht. Dabei benötige die Hauptschule mit Blick auf ihr Klientel die besten Lehrer.

Denn die Probleme nehmen zu, klagte eine Lehrerin. "Es gibt Klassen, in denen bis zu 50 Prozent der Schüler nur von einem Elternteil erzogen werden." Engelbrecht zufolge benötigten die Kinder deutscher Eltern inzwischen die gleiche intensive Förderung wie Schüler aus Migrantenfamilien. "Es gibt Eltern, die sind schon mit ihrem eigenen Leben völlig überfordert. Da sind sich die Kinder selbst überlassen." Zwei bis drei Prozent seiner 448 Schüler schwänze den Unterricht.

Dennoch gebe die Stephanusschule keinen Schüler auf. "Wer am Unterricht teilnimmt, den lassen wir nicht sitzen", sagte Engelbrecht. Von den 100 Schülern der zehnten Klasse habe ein Viertel sogar die Möglichkeit, in die Sekundarstufe II zu wechseln. Davon schaffe knapp die Hälfte die gymnasiale Oberstufe.

Obwohl die Lehrerversorgung in der Stephanusschule bei 100 Prozent liegt, müssen die Lehrkräfte an ihre Grenzen gehen. "Ich habe bis zu 29 Schüler in einer Klasse. Da bin ich nicht in der Lage, auf den Einzelnen einzugehen", klagte ein Lehrer. Erfahrungen mit Kursen von 15 Schülern zeigten, dass sie hervorragende Leistungen erbringen könnten.

Große Klassen sieht auch Sommer kritisch. "Aber das zeigt andererseits, dass ihre Schule sehr beliebt ist. Denn der Trend geht landesweit zu 18 Schülern und weniger pro Klasse."

Zur Sprache kam auch die Ungleichbehandlung von angestellten und verbeamteten Lehrern. "Angestellte Lehrer bringen Schlüsselqualifikationen wie eine abgeschlossene Berufsausbildung mit", erläuterte ein Betroffener. In NRW werde nur bis 35 Jahre verbeamtet. "In Hessen liegt die Grenze bei 50Jahren." Angestellte Lehrer verdienten daher bis zu 40Prozent weniger - bei gleicher Leistung. "Ich werde also für meine Treue zu NRW bestraft."

Versprechen konnte die Ministerin an diesem Tag nichts. "Aber ich kann sehr wohl einschätzen, was sie leisten. Die Bildung hat für die Landesregierung neben der Haushaltskonsolidierung höchste Priorität."