Herr Walter-Borjans, Sie haben mit Ihrem Buch „Steuern – der große Bluff“ aufgezeigt, dass Vieles im Argen liegt beim Thema Steuergerechtigkeit. Wie kommt das in Ihrer eigenen Partei an? Wir haben den Eindruck, da wird das Thema nicht beherzt angefasst.
Interview Ex-NRW-Minister Walter-Borjans: Warum sich die SPD weiter nach links bewegen muss
Düsseldorf · Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) spricht im WZ-Interview über Pflichten der Vermieter, die Angst seiner Partei vor Steuer-Themen und was er von der Grundsteuer hält.
Norbert Walter-Borjans: Ich habe mit den SPD-Fachleuten im Bundestag darüber gesprochen. Und mit anderen Parteifreunden, die selbst nicht Experten für das Thema sind. Doch ebenso wie in der Bevölkerung macht man da gern einen Bogen um das Thema. Was gefährlich ist, denn das macht empfänglich für einfache Botschaften.
Botschaften von wem?
Walter-Borjans: Mir fällt da als erstes der Bund der Steuerzahler ein. Jeder hat ein Recht auf eine Interessenvertretung. Aber bei denen habe ich das Gefühl, hier ist eine Lobbygruppe am Werk, die braucht die Distanzierung vom Gemeinwesen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Und die jedem das Gefühl vermittelt, dass sein Geld, das er als Steuer bezahlt, doch nur verschwendet wird.
Zurück zur SPD und zur Frage der Steuergerechtigkeit. In konkretes Regierungshandeln fließt das bei der großen Koalition nicht ein. Zum Beispiel mit Blick auf eine Wiedereinführung der Vermögensteuer oder mehr Einnahmen bei der Erbschaftsteuer.
Walter-Borjans: Diese Fragen sind nicht so in der DNA der Partei verankert, wie das zum Beispiel beim Thema Mindestlohn der Fall ist. Und man muss auch wissen, dass Steuer-Themen von interessierter Seite geschickt zu einem Angstthema der Bevölkerung gemacht werden. Gegenüber Menschen, die gar nicht von einer Vermögensteuer oder einer höheren Erbschaftsteuer betroffen wären. Das ärgert mich. Ich habe doch nichts dagegen, dass Multimillionäre ihre eigenen Interessen vertreten. Mich stört aber, dass es eine bestimmte Szene von Gutverdienern gibt, die als solche keine Mehrheit hätten, die aber die Mehrheit mit solchen angstbesetzten Themen verunsichern. Das bekommen dann natürlich auch die Politiker zu hören und lässt sie zurückschrecken.
Weil sie fürchten, sie könnten mit einem solchen Thema keine Wahlen gewinnen?
Walter-Borjans: Genau, aber das sehe ich anders. Das Thema hat sehr viel mit Gerechtigkeit zu tun. Und die SPD sollte es im Wahlkampf, in Verhandlungen mit Koalitionspartnern, aber auch unabhängig davon mehr nach vorn bringen. Da müssen wir zum Beispiel klar machen, dass überschaubare Erbschaften auch bei einer konsequenteren Besteuerung nicht betroffen wären.
Wie sehen Sie die in der Diskussion um die Grundsteuer aufgebrachte Idee, dass das Umlegen der Steuer vom Vermieter auf den Mieter nicht möglich sein soll?
Walter-Borjans: Ich finde, die Grundsteuer sollte den treffen, dem die Immobilie gehört und nicht den, der sie bewohnt.
In Ihrer Amtszeit als NRW-Finanzminister sind Sie besonders bekannt geworden durch den Ankauf der Steuer-CDs, mit deren Hilfe Steuerhinterzieher überführt und viele auch zur Selbstanzeige gebracht wurden, was wiederum zu gewaltigen Steuereinnahmen führte. Insbesondere die Wuppertaler Steuerfahndung tat sich da hervor. Unter ihrem Nachfolger Lutz Lienenkämper (CDU) wurde kein Ankauf einer solchen Steuer-CD bekannt. Woran liegt das?
Walter-Borjans: Da kann ich natürlich auch nur spekulieren. Zuvor wussten Whistleblower, dass sie sich an die Steuerfahndung Wuppertal wenden konnten. Das ist naturgemäß eine sehr vorsichtige Szene. Doch die damaligen Ansprechpartner sind nicht mehr da. Sie sind bekanntlich zu einer Anwaltskanzlei gewechselt. Das kann bei den Informanten zu mehr Zurückhaltung geführt haben.
Für viele Steuerzahler ist die jährliche Steuererklärung ein Graus. Wie stehen Sie zu einer Vereinfachung, Stichwort Steuererklärung auf dem Bierdeckel?
Walter-Borjans: Da sind wir ganz schnell wieder bei dem Thema Steuergerechtigkeit. Allzu oft verfallen doch auch Politiker, die mehr Vereinfachung bei der Steuer wollen, in das Gegenteil. So wird etwa bei der Frage, ob sie für irgendetwas einen Anreiz geben wollen, darauf gesetzt, dass es eine steuerliche Absetzbarkeit gibt. Aber eben das verkompliziert dann wieder die Steuererklärung. Und gerecht ist es auch nicht. Der Förderbetrag bemisst sich dann danach, wie viel Geld jemand verdient. Nehmen wir das Thema Absetzbarkeit von Spenden: Ich spende 100 Euro für einen guten Zweck. Dann zahlt ein Gutverdiener nur 58 Euro netto, den Rest trägt die Gemeinschaft. Und die Kassiererin im Supermarkt muss von den 100 Euro 80 selbst tragen, weil sich das Absetzen bei ihr weniger stark auswirkt. Gerecht geht anders.
Wie ließe sich das besser gestalten?
Walter-Borjans: Indem man das aus der Steuererklärung rausnimmt. Und jeder das zu einem bestimmten Stichtag einreicht, die staatliche Beteiligung an der Spende dann aber unabhängig vom Einkommen des Spenders (zum Beispiel 25 Prozent, dann aber für alle gleichermaßen) vom Finanzamt erstattet wird.
Lassen Sie uns von der Steuergerechtigkeit wechseln zum Zustand der SPD. Warum ist der so schlecht?
Walter-Borjans: Ganz gewiss nicht, weil wir nicht genug erreicht hätten. Es fehlt die Gesamterzählung. Bei jedem einzelnen Erfolg der SPD ist die Gruppe, die unmittelbar betroffen ist, eine Minderheit. Bei der Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, Mindestlohn, gute Kita, bezahlbare Mieten, Ehe für alle und vielem anderen mehr. Es muss klarer werden, dass es für die Bürger, auch wenn sie nicht selbst Nutznießer dieser einzelnen Lösungen sind, doch ein Stück auf dem Weg zu einem gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, der für alle persönlich wichtig ist. Die Wähler müssen erkennen können, dass und wie wir dieses Gesamtkonzept konsequent verfolgen. Das muss die SPD auch dann immer wieder deutlich machen, wenn sie es mit dem gegenwärtigen Koalitionspartner nicht durchsetzen kann. Sie muss ihre Haltung deutlich machen, auch in Zeiten, in denen der Wind von vorn kommt.
Muss die SPD nach links rücken, muss Hartz IV weg?
Walter-Borjans: Ich gehöre nicht zu denen, die heute sagen, dass das damals alles Quatsch war. Aber man muss doch in der Lage sein, 15 Jahre später einzugestehen, dass damit auch Nebenwirkungen verbunden waren, auf die man reagieren muss. Dass etwa Menschen, die lange gearbeitet haben, auf dieselbe Stufe fallen wie einer, der nicht gearbeitet hat. Die Richtung, wohin man rückt, hängt vom Ausgangspunkt ab. Wenn die Neujustierung der radikalen Steuersenkung für Topverdiener und mancherlei Deregulierung vor 14 Jahren, die Entstigmatisierung armer Menschen und eine angemessene Beteiligung von Mega-Erbschaften an der Finanzierung des Gemeinwesens eine Linkstendenz sind, haben wir uns vorher womöglich zu weit nach rechts schieben lassen.
Stichwort Kurswechsel – wie beurteilen Sie generell den Kurswechsel in NRW von Schwarz-Gelb gegenüber dem damaligen Kurs von Rot-Grün?
Walter-Borjans: Ohne ins Detail zu gehen: Wer sich wie die aktuelle Landesregierung rühmt, die Wirtschaft entfesseln zu wollen, hat nicht begriffen, welchen Stellenwert Moral und Verantwortungsbewusstsein für das Ganze in manchen Chefetagen haben. Ein handlungsfähiger Staat und klare Regeln für eine gemeinschaftsdienliche Wirtschaft sind wichtiger denn je. Entfesselungskünstler sollen da auftreten, wo sie hingehören, im Zirkus oder im Varieté.
Braucht die SPD einen oder mehrere neue Köpfe?
Walter-Borjans: Eines ist gewiss: Die drei Buchstaben allein sind derzeit alles andere als selbsterklärend. Dabei gibt es in einer Zeit eines immer schnelleren Wandels einen so großen Bedarf an ur-sozialdemokratischen Werten wie Rücksichtnahme und Gerechtigkeit. Das transportiert sich aber nicht allein über Beschlüsse und Programme. Das geht nur mit glaubwürdigen Köpfen, die auch in der Lage sind, zu begeistern. Egal, wie man die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz im Nachhinein bewertet: Es ist ihm Anfang 2017 gelungen, das Potenzial der SPD freizulegen. Das hat die politische Konkurrenz seinerzeit alarmiert und auch zu manch heftiger Attacke jenseits des Erträglichen veranlasst. Am Potential sozialdemokratischer Werte hat sich nichts geändert. Die Frage ist, wer sie so verkörpern kann, dass die Menschen den Glauben an ihre hartnäckige Umsetzung wiederfinden.