Ganz schön dreist: Leipzig wirbt Rentner aus NRW ab
Werbefeldzug: In Wuppertal und Remscheid wirbt Leipzig um Neubürger ab 60. Es locken günstige Mieten und viel Kultur.
Wuppertal/Leipzig. Es gibt tatsächlich ein Rentner-Paradies. Es liegt tief im Osten, in Sachsen, genauer: in Leipzig. Das zumindest behauptet die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB), die seit einiger Zeit in Remscheid, Wuppertal und Duisburg um Neubürger wirbt - und zwar jenseits der 60. "Leipzig - für Senioren garantiert gut verträglich", prangt es auf als Tabletten-Packungen getarnten Werbepäckchen.
Die pfiffige Idee ist aus purer Not geboren. Rund 25 000 Wohnungen stehen in der 500 000-Einwohner-Stadt leer. Das drückt die Mieten - doch für Berufstätige scheidet die Stadt wegen des geringen Stellenpotenzials aus. Also bittet man Rentner zur Besichtigung. Mitte Juli geht’s ab Wuppertal zur dreitägigen Butterfahrt - "100 Leute fahren mit, wir sind ausgebucht", frohlockt LWB-Sprecher Gregor Hoffmann. Die Interessenten kommen aus Duisburg und dem Bergischen. Die LWB hofft auf rund 20 neue Mietverträge.
Es war auch kein Zufall, dass sich die LWB für ihre Werbetour in NRW die Städte Remscheid, Wuppertal und Duisburg ausgesucht hat. "Studien zeigen, dass die Wegzieh-Bereitschaft im Ruhrgebiet sehr hoch ist", sagt Hoffmann - und die bergischen Städte zählten die Sachsen offenbar kurzerhand zum Ruhrpott.
Leipzig präsentiert sich den potenziellen Neubürgern selbstbewusst. "Es ist an der Zeit, zu zeigen, was die günstigste Großstadt Europas zu bieten hat", meint Hoffmann: breites Kulturangebot, attraktive Innenstadt, reizvolles Umland und sogar ein Supermarkt extra für Senioren (große Preisschilder, sprechende Obst-Waagen).
Mieten Der Wegzug von Arbeitssuchenden hat gewaltige Leerstände in den Städten hinterlassen. Die Folge: Leipzig wirbt mit Quadratmeter-Preisen von vier bis 6,50 Euro. In Wuppertal liegen die Preise bei fünf bis 7,50 Euro (jeweils kalt).
Lebenshaltung Im Supermarkt ist vieles günstiger, allerdings nicht gravierend. Beim Bäcker oder Gemüsehändler spürt man den Preisunterschied eher.
Gastronomie Je nach Lage kann man in ostdeutschen Städten günstiger ausgehen. In den Stadtzentren ist das Ost-Preisniveau jedoch ähnlich.
Die dreiste Kampagne des Leipziger Wohnungsriesen legt allerdings eines schonungslos offen: Mit der demografischen Krise hat der Wettbewerb der Städte die mobile und finanzkräftige Rentnergeneration erreicht.
Der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung macht es sich jedenfalls zu einfach, wenn er allein auf die Heimatverbundenheit der älteren Bürger setzt. Die Gesellschaft gliedert sich längst nicht mehr nach Altersgruppen, sondern nach Lebensmodellen. Wenn Kinder und Enkel erst einmal weggezogen sind, sinkt auch die Bindung der Älteren. Neben die sonnenhungrige Mallorca-Fraktion hat sich die Gruppe der mobilen Stadtbürger gesellt.
Es wird also höchste Zeit für die Städte in Nordrhein-Westfalen, die eigene Profilbildung voranzutreiben. Wer glaubt, mit der Ausweisung von Gewerbeflächen schon die Zukunft zu gewinnen, der hat die Entwicklung gründlich verschlafen. Städte wie Wuppertal oder Krefeld, die Urbanität und überschaubares Maß auszeichnet, die attraktive Bausubstanz und üppige Grünflächen besitzen, haben ihre Chancen noch nicht ausgeschöpft. Wann beginnen sie endlich, den neuen Wettbewerb selbstbewusst und vor allem wirkungsvoll aufzunehmen?