Lehrer und ihre Arbeitszeit: Vorurteil und Wirklichkeit
Schule: Halbtagsjob oder 50-Stunden-Woche? Eine Hauptschullehrerin und ein Gymnasiallehrer erzählen, wie es tatsächlich ist.
Düsseldorf. In den Augen der Öffentlichkeit haben Lehrer einen Halbtagsjob und drei Monate Ferien. Deputate (siehe unten) von durchschnittlich 25,5 Stunden pro Woche stärken viele in ihrer Meinung, dass Pädagogen zu wenig arbeiten. Altkanzler Schröder sprach einst sogar von "faulen Säcken". Dabei liegt die Realität oft weit jenseits einer 40-Stunden-Woche - nicht erst, seit das neue NRW-Schulgesetz in Kraft ist. Im Land wird heftig darüber diskutiert, wie die Lehrerarbeitszeit gerechter werden kann.
Manche Nacht findet Gabriele Flach keine Ruhe. "In diesem Jahr ist die psychische Belastung besonders stark", sagt die 60-jährige Deutschlehrerin von der Anton-Schwarz-Hauptschule in Monheim. Nicht nur zentrale Abschlussprüfungen und Lernstandserhebungen würden Zeit und Energie binden. "Es ist auch die Verantwortung für den weiteren Berufsweg meiner Schüler", sagt die Pädagogin mit Blick auf die zehnte Klasse, die sie unterrichtet. Engagement, das sich in ihren 20 Wochenstunden nicht niederschlägt.
Da wäre die Grunderziehung, die viele Elternhäuser nicht mehr leisten. "Fernab des Unterrichts geht es darum, den Schülern Tugenden wie etwa Pünktlichkeit zu vermitteln." Auch bei der Berufsfindung ist sie gefragt. "Ich schneide aus den Zeitungen Ausbildungsanzeigen heraus und bringe sie mit in die Schule." Sie kontrolliert die Bewerbungsunterlagen und füllt Formulare aus.
Und der Unterricht? Der benötigt eine neue Vorbereitung - zugeschnitten auf die zentralen Prüfungen. Bei der Korrektur der Arbeiten habe das ganze Kollegium geholfen. "Der eine hat die Zweitkorrektur übernommen, der andere die Werte in den Computer eingegeben." Drei Tage saß die 60-Jährige zu Hause und korrigierte 24 Arbeiten.
Durch die Neuerungen im Schulgesetz werden die Lehrkräfte auch an anderer Stelle gebunden, etwa in der Verwaltung. "Man muss Gutachten erstellen, Steuerungsgruppen einrichten und Schulprogramme entwickeln. Wenn dann noch die Masern ausbrechen und wir Impfbücher kontrollieren müssen, ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Gerade wir Hauptschullehrer brauchen aber Zeit für die persönliche Zuwendung", sagt Flach. Zeit, die immer knapper wird.
Zeitnot ist auch Wilhelm Knaups ständiger Begleiter. Der 59-Jährige unterrichtet am Arnold-Jansen-Gymnasium in Neuenkirchen Englisch und Geschichte - zwei korrektur-intensive Fächer. Ans nächste Schuljahr mag er gar nicht denken. Knaup wird in Stufe 13 einen Leistungskurs (LK) Geschichte geben, dazu kommt ein LK in Klasse 12 - macht zehn Stunden. Zwei Englisch-Grundkurse (GK) mit je drei Stunden unterrichtet er in der 11. Drei Stunden Englisch plus zentrale Abschlussprüfung kommen in der 10 hinzu. In Stufe 6 gibt er vier Stunden Englisch - macht 23 Wochenstunden. "Ich sitze mehr Stunden am Schreibtisch als in der Schule." Wie viele seiner Kollegen komme er auf 50 Wochenstunden - Oster- und Weihnachtsferien eingerechnet. Ihm droht ein wahrer Korrekturmarathon.
Arbeitszeit Die Arbeitszeit der Lehrer bemisst sich nach den jeweils geltenden Regelungen für Beamte. Der Dienstherr legt die Deputatsverpflichtung fest, d. h. die Unterrichtsstunden, die ein Lehrer zu erteilen hat.
Positionen Über den Aufwand für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts sowie für Verwaltungstätigkeiten bestehen unterschiedliche Auffassungen. An höheren Schulformen wird ein größerer Aufwand vorausgesetzt, und das Deputat - ausgedrückt in zu haltenden Unterrichtsstunden - liegt unter dem an Schulen mit niedrigerem Bildungsabschluss.
Kritik Lehrer einer Schulform, die vor- und nachbereitungsintensive Fächer unterrichten, fühlen sich gegenüber Lehrern, die keine Korrekturfächer unterrichten, im Nachteil, da alle die gleiche Stundenzahl haben.